MenuMENU

zurück

Aus dem Notizbuch

Wassermelone essen

Eldad Stobezki


Rondo. Foto: Bernd Leukert

Können wir etwas wahrnehmen, ohne uns dabei etwas zu denken? Gibt es Text ohne Kontext und Subtext? Die Rückgewinnung des Alltags vor dem Hintergrund des Massakers oder das heitere Rondo bei der eigenen Beerdigung – Eldad Stobezkis Notizen sitzen in dialektischer Spannung und bringen, Älterwerden, Kulturspaltung und Rinderhack streifend, Grundsätzliches zum ethnischen Staat zur Sprache.

 

Mit einer gelben Schleife befestigt die israelische Architektin und Künstlerin Sharon Pazner in Tel Aviv Betonplatten an Wände und Mauern. Sie sollen an das Massaker vom 7. Oktober 2023 erinnern und Alltag ins Zentrum rücken. Darauf sind immer zwei Worte: ein Verb und ein Substantiv. „Kühlschrank öffnen“, „im Meer schwimmen“, „Klimaanlage einschalten“, „Vater anrufen“, „Fahrrad fahren“.
Oft wird sie dafür gelobt – und ebenso oft werden die Tafeln zerstört. Ein Spiegel der israelischen Gesellschaft: Das Leben geht weiter, die Folgen des Krieges will man nicht wahrhaben.
Ich schrieb ihr eine Mail und gratulierte zu dieser großartigen Idee und schlug ihr vor, eine Tafel mit „Wassermelone essen“ zu gestalten. Sie war begeistert – und nun hängt auch eine Platte mit der Aufforderung zu diesem typischen, sommerlichen Genuss an einer Wand im Zentrum der Stadt. Mich erinnern diese Tafeln an die Stolpersteine.

./.

Mit einer befreundeten Klavierlehrerin saß ich in einem Straßencafé. Wir sprachen über Mozart, über sein Requiem, das er nicht mehr vollenden konnte. Ich empfahl ihr, einen Workshop zu gestalten, in dem die Teilnehmer die Musik auswählen, die sie für ihre eigene Beerdigung wünschen.
„Das ist ein weites Feld“, sagte sie. „Der Coach müsste zugleich Musikologe, Therapeut und Geschichtensammler sein.“
Ich erzählte ihr, dass ich mir früher das Rondo aus Mozarts Klavierkonzert KV 238 gewünscht hatte. „Bei dieser heiteren Musik werde ich melancholisch“, sagte ich. „Vielleicht, weil sich in diesem Stück alles fügt: Motiv, Tempo, Verzierungen, Eleganz.“
„Das ist doch bei Mozart immer so“, meinte sie lächelnd.

./.

Es war wieder Morgen, und wieder saß ich im Café, unten bei uns im Haus. Zwei Frauen unterhielten sich in einer mir unbekannten Sprache. Auf meine Frage hin, welche Sprache es sei, erfuhr ich: Es war Mazedonisch. Eine der Frauen kam aus Mazedonien, die andere aus Bosnien. Die Bosnierin hatte als junges Mädchen Mazedonisch gelernt. Wehmütig sagte sie: „Wir waren mal ein Land.“
Bevor ich das Café verließ, suchte ich auf meinem Handy nach einem Gruß und verabschiedete mich mit „Dobar den“. Sie lächelten.

./.

Die Idee, Staaten auf ethnischer Grundlage zu errichten, war und ist eine der folgenschwersten Fehlentscheidungen der Moderne. Sie entfremdete die Juden Europas, nährte den Zionismus und führte zur Vertreibung von Palästinensern, um Platz für eine „ethnisch reine“ Bevölkerung zu schaffen. Und sie wirkt weltweit zerstörerisch – ob im Iran, auf dem Balkan oder im Kaukasus. Eine solche Denkweise hätte niemals politische Legitimität erlangen dürfen.
Die Alternative liegt nicht in neuen Grenzen, sondern in neuen Werten: moralischer Empathie, universeller Menschenwürde und dem entschlossenen Aufbau von Staaten, in denen alle Bürger – unabhängig von Religion, Herkunft, Kultur oder Weltanschauung – gleichberechtigt leben. Nur so lässt sich dauerhafter Frieden schaffen.

./.

Das Schlimmste am Altwerden ist, dass man neue Ärzte suchen muss.

./.

Ein Unbekannter sprach mich auf der Straße an und fragte, wann ich wieder koschere Mangos verkaufe, und wünschte mir einen rutschfesten Tag.

./.

Zitat eines Fernsehkochs: „Der hohe Fettgehalt im Rinderhack sorgt für ein saftiges Mundgefühl.“ Geschmackssache.

 

 

Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos

Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt, Frankfurt 2024

Buch bestellen

Erstellungsdatum: 15.09.2025