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Schwarz-rote Bundeskulturpolitik

Wie gehabt

Matthias Buth


Alter Adler. Foto: Bernd Leukert

Dass sich die Koalitionsvereinbarungen zur Kulturpolitik einer Rede bei einer Landwirtschaftsausstellung aus Flauberts „Emma Bovary“ bedienen, wie Jürgen Kaube in der F.A.Z. schreibt, überrascht nicht. Copy & paste oder KI? Nicht nur Pathos und Ahnungslosigkeit kennzeichnen angemaßte Kompetenzen, sondern, wie der Dichter und Jurist Matthias Buth zeigt, der eigenmächtige Umgang der bundeskulturellen Einrichtungen mit unseren Gesetzen.

 

Auf Seite 119 kommt sie auch dran, die Bundeskulturpolitik. Und Friedrich Merz sagte am 9. April 2025 im Paul Löbe-Haus bei der Vorstellung des aus den Mühen der Ebene erwachsenen Vertrages von Union und SPD, wie wichtig ihm ein oder eine Staatsminister(-in) im Kanzleramt sei. Unter „4.4. Kultur und Medien“ finden sich die Sprachfloskeln, die seit Michael Naumann bis zu Monika Grütters und Claudia Roth – den Kulturstaatsministern, die BKM (den/der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) anführen als Abteilung des Kanzleramtes – in den PC fließen, ununterscheidbar sind.

Die Eingangssätze lauten:

„Unser Land ist ein Kulturstaat, reich an Traditionen und Bräuchen, an Kunst, Architektur, Literatur und Musik, an Geschichte und religiöser Vielfalt – in Stadt und Land. Unsere Kultur ist das Fundament unserer Freiheit. Kunst inspiriert, irritiert und eröffnet neue Perspektiven. Ohne freie und kraftvolle Kunst verkümmert, was jedem Fortschritt zugrunde liegt: die Fähigkeit, unser Leben zu reflektieren und uns ein besseres vorzustellen. Kulturpolitik ist gesellschaftsrelevant. Den kulturellen Reichtum und die Vielfalt unseres Landes werden wir pflegen, weiterentwickeln und gegen jede Herausforderung verteidigen. Die Bundeskulturpolitik ist im kooperativen Kulturföderalismus mehr als eine Ergänzung der Kulturhoheit der Länder.“

Blasser geht`s nimmer. Wenn das der Maßstab ist, muss man sich fragen, ob die Erkenntnisse, die uns die Geschichts- und Kulturwissenschaft geliefert haben, nicht gelesen oder bewusst zur Seite gelegt worden sind, also all das, was Herfried Münkler, August Heinrich Winkler, Martin Schulze-Wessel und insbesondere Wolfgang Böckenförde publiziert haben.

BKM ist eine Stabsstelle im Kanzleramt. Die Personalhoheit hat und somit zuständig für die Entlassung und Einstellung der Beamten und Angestellten ist der Kanzler. Dieser steht auch zu Recht über dem BKM-Organigramm.

Zu den obersten Bundesbehörden zählen aber nur die Bundesministerien, das Bundeskanzleramt, das Bundespräsidialamt, der Bundesrechnungshof. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bereits durch das Grundgesetz eingerichtet wurden. Das ist bei der BKM erkennbar nicht der Fall.

Die BKM regiert über eine Vielzahl von Institutionen, verfügt sogar über einen „Geschäftsbereich“ von sogenannten nachgeordneten Behörden, an sich typisch für Bundesressorts wie bei AA und BMI. Als der BKM nachgeordneten Behörden gehören das Bundesarchiv, in das das Stasi-Unterlagen-Archiv (BStU) eingegliedert wurde; das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (den Namensbestandteil „der Deutschen“ hat Frau Roth gestrichen); die Kunstverwaltung des Bundes, das Bundesamt für Äußere Restitution.

Dies sind Bundesoberbehörden, die auch statusbegründend sein sollen im Rahmen der Staatsorganisation, vermögen dies aber nicht zu leisten, da das Grundgesetz zur BKM keine Regelungen enthält, die haushaltsmäßige Veranschlagung in zwei obersten Bundesbehörden – Kanzleramt und BMI – erfolgt ist und sich aus dem Prinzip der Normativität des Faktischen keine grundsätzliche Umkehrung der Regelung von Artikel 28 GG ergeben kann. Die anderen dem Kanzler zugeordneten „Beauftragten“ im Kanzleramt nehmen für sich übrigens nicht in Anspruch, oberste Bundesbehörden zu sein.

Das Agieren der BKM ist rechtlich nicht in Ordnung, und man fragt sich, weshalb das die Öffentlichkeit und auch der Bundesrechnungshof bisher allzu vornehm übergangen haben.

„Alles meins“, scheint der Staat zu sagen. So auch bei der Villa Massimo.

Der Status der Villa Massimo, wo in Rom Künstler sowie Autoren und Musiker (m, w, d) mit Aufenthaltsstipendien staatlich gefördert werden, als unselbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts im sogenannten Geschäftsbereich der BKM ist nämlich mehr als problematisch, denn auch hier handelt unmittelbar der Staat, was der Ordnungsfunktion des Grundgesetzes nach Artikel 5 GG zuwiderläuft. Denn wo der Staat in Sachen Kultur handelt, läuft Art 5 GG ins Leere, statuiert diese elementare Grundrechtsnorm doch vor allem ein Abwehrrecht gegen den Staat.

Kulturpolitik und Kulturförderung sind Gestaltungsaufgaben des Staates, also der primär zuständigen Länder (im Zusammenwirken mit den Kommunen) und des Bundes. In der Rechtswissenschaft besteht Einigkeit, dass sich aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (u.a. in den Artikeln 20, 28 sowie 5, 14 und 6 GG) das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als „Kulturstaat“ ableiten lässt. Das Sozialstaatsprinzip gehört zu den Ewigkeitsgarantien des Artikel 79 Abs. 3 GG, die auch durch verfassungsändernde Mehrheiten vom Bundestag nicht abgeschafft werden können. Diesen Grundsätzen folgend ist der Begriff „Kulturstaat“ durch Artikel 35 Abs. 1 in den Einigungsvertrag zwischen beiden deutschen Staaten aufgenommen worden. Dabei hat man sich von der Struktur der staatlichen Kulturförderung der ehemaligen DDR leiten lassen, denn Artikel 5 GG statuiert in der liberalen Tradition ein Freiheitsgrundrecht der Bürger gegen staatliche Bevormundung. Nunmehr trat der Aspekt in der verfassungsrechtlichen Diskussion hinzu, dass es eine staatliche Gewährleistungspflicht eben dieser Freiheit gäbe mit der Folge, dass der Staat im Rahmen einer föderalen kooperativen Aufgabenwahrnehmung (zwischen Bund und Ländern) zu handeln habe. Die Länder sind nach Artikel 30 GG primär zuständig für die Kulturförderung, sie sind die Gewährleister, dass sich Kunst und Kultur souverän von staatlichem Einfluss darstellen und entwickeln können. Der Bund tritt hinzu und hat wenige originäre Aufgaben, auf die nun näher einzugehen ist.

In den Jahren nach der Deutschen Einheit vom 3. Oktober haben sich eine Vielzahl von Kooperations- und Verflechtungstatbeständen zwischen den Förderaktivitäten von Bund und Länder ergeben, die den immensen Gestaltungswillen der Bundesregierung -– geleitet von immer größer werdenden Haushaltsmitteln – zum Ausdruck bringen. Ein schleichender, zum Teil klandestiner Prozess hin zu einer dominanten Kultur-Steuerung des Bundes ist erkennbar. Der Bund macht zunehmend mit Macht (= Geld) in Kultur. Diese Entwicklung muss sich an den Vorgaben des Grundgesetzes messen lassen. Die Länder haben sich immer wieder zu Wort gemeldet und sehen sich von der Förderpraxis der Bundesregierung verfassungsrechtlich bedrängt, bisher ohne Erfolg. Geld regiert die Welt.

Das Kanzleramt ist durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) der Auffassung, zur Förderung von Einrichtungen und Vorhaben von „nationaler Bedeutung“ berechtigt zu sein, ein unbestimmter Rechtsterminus, den zu füllen sich der Bund kaum die Mühe gemacht hat, denn was ist das Nationale, das hier die Förderkompetenz ergeben soll, wo doch schon Begriffe wie „deutsch“, „Deutschland“ und „Nation“ keinen öffentlichen Diskurs erfahren, der jedoch endlich vom Bund initiiert werden sollte, damit wir im In- und Ausland an staatlicher Wahrnehmung und Begründung gewinnen.

BKM verweist für sein Kulturhandeln auf die Kompetenzzuweisungen der Artikel 32 und 87 GG und holt gerne aus der Truhe der Begriffe des Kanzleramtes zwei diffuse Termini, nämlich die Förderung „aus der Natur der Sache“ oder „kraft Sachzusammenhangs“.

Im Jahre 2006 wurde mit Blick auf die Bundeshauptstadt Berlin das Grundgesetz geändert. Artikel 22 Abs. 1 S.2 und 3 heißen nun: „Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Sache des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Der Begriff „Gesamtstaat“ im Grundgesetz erstaunt, noch mehr, dass das hier angekündigte Bundesgesetz, das Näheres regeln soll, immer noch nicht vorliegt. Aber klar ist: der Bund hat hier eine originäre Kompetenz, Kultur in Berlin zu fördern, ergänzt durch Artikel 2 Abs. 1 Einigungsvertrag in der Verbindung mit dem Bonn-Berlin-Gesetz, was Auswirkungen auch auf die Bundesstadt Bonn hat.

Unter dem Tenor „gesamtstaatliche Repräsentation“ werden Kulturkompetenzen des Bundes hergeleitet, ein unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem und mit dem sich vieles verwirklichen lässt, Dokumentationsstätten deutscher Geschichte, des Grauens der NS-Diktatur und des SED-Staates gehören dazu wie andere immobile und mobile Zeugnisse deutscher Kulturgeschichte; aber das ist ein weites Feld. Sind eine Beethoven-Partitur, ein Buchmanuskript von Else Lasker-Schüler oder ein siedlungsgeschichtlich wichtiges Bauwerk im Ruhrgebiet einzubeziehen und welches Objekt nicht? Was sind die Maßstäbe und welchem Wandel sind diese unterworfen, welche Bevölkerungsgruppen werden einbezogen und was steht „für das Ganze“, also für Deutschland als „europäisch gewachsene Kulturnation“ (siehe § 4 Deutsche-Welle-Gesetz)? Der Bund entscheidet.

Rechtsverpflichtungen ergeben sich für den Bund auch aus zwei weiteren Passagen des Einigungsvertrages (EV). So heißt es in Artikel 35 Abs. 7 EV: „Zum Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands kann der Bund übergangsweise zur Förderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet mitfinanzieren“. Das eröffnete indes keine dauerhafte Rechtskompetenz, der Bund darf (oder durfte? Der zeitliche Rahmen ist nicht genannt) „übergangsweise“ und nur einzelne Maßnahmen finanzieren zusammen in den fünf Ländern in Ostdeutschland (es heißt ja „mit“-finanzieren). Und 35 Jahre nach der Deutschen Einheit wird weiter übergangsweise finanziert, Dauerfinanzierung ist mithin längst Praxis.

Hinzu tritt das „Leuchtturm“-Programm nach Artikel 35 Abs. 4 EV, wonach zentrale Einrichtungen von DDR-Kultureinrichtungen vom Bund finanziert werden dürfen, ohne dass klar wäre, ob dies „übergangsweise“ oder auf Dauer geschehen darf.

Politisch sinnfällig ist, dass der Bund Förderkompetenz für Gedenkstätten, Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft hat. Diese ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip und ist grundgesetzlich verankert in Artikel 74 Abs. 1 Nr. 10 a GG; in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes (BT-Drs. 14/1569) wurde diese erfasst und vom Bundestag so beschlossen. Damit korreliert die Bundesverpflichtung zur Dokumentation, Nachforschung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter zusammen mit den Ländern und Kommunalen Spitzenverbänden in Umsetzung deren Gemeinsamen Erklärung mit dem Bund, gestützt auf Artikel 74 Abs.1 Nr.9 GG.

 

Zweifellos ist Teil der Außenpolitik die auswärtige Kulturpolitik. Diese verschränkt sich mit einigen Aspekten der inländischen Kulturförderung, da Kultur oft Auslandsbezug hat bzw. sich aus der deutschen Geschichte ergibt. Das AA fördert auf der Grundlage von Artikel 32 Abs.1 und 87 Abs. 1 GG und pflegt die Kulturbeziehungen zu außereuropäischen sowie europäischen, internationalen und supranationalen Organisationen. Oft ist unklar, warum BKM im Ausland fördert (Stichworte sind u.a.: Villa Massimo in Rom und Thomas Mann-Haus in den USA), aber das vom AA geförderte Goethe-Institut auch in Deutschland tätig ist.

Die Sicherung von Kulturgut und Geschichte ehemals deutscher Kulturlandschaften im östlichen Europa sowie deren Erforschung und Präsentation ist Aufgabe des Bundes im Zusammenwirken mit den Ländern, wie § 96 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) ausweist und seine verfassungsrechtliche Stütze in Artikel 32 Abs. 1 GG findet. Diese Vorschrift aus dem BVFG hatte ihre kulturpolitische Wirkung zunächst im Hinblick auf die 12 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge und war auch von der Illusion getragen, in einem Friedensvertrag könnten die faktisch 1945 verlorenen Ostprovinzen ganz oder teilweise in die staatliche Obhut Deutschlands zurückfallen. Die völkerrechtliche Lage wurde erst 1990/91 durch den 2 plus 4-Vertrag und die Grenzanerkennungsverträge mit Polen und der damaligen Sowjetunion abschließend geklärt. Das Selbstverständnis Deutschlands als Kulturstaat erfordert es aber weiterhin, sich der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nachhaltig zuzuwenden; dies sagt ja auch § 96 BVFG, der vom Bewusstsein des ganzen deutschen Volkes spricht, somit von unseren historischen Wurzeln in Ostmitteleuropa.

Auf Artikel 32 Abs. 1 und 120 Abs. 1 GG gründet sich die Bundesverpflichtung zur Rückführung kriegsbedingt verbrachten Kulturgutes wie auch die Mitwirkung an der Rückgabe ausländischen Kulturbesitzes. Damit verbindet sich die Kompetenz des Bundes zur Ausführung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes sowie für Maßnahmen im Rahmen der zivilen Verteidigung durch die Schutzverpflichtung nach dem Gesetz zur UN-Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Haager Konvention).

Öffentlichkeitsrelevant fördert der Bund den deutschen Film sowie das Verlagswesen und Übersetzungsförderung, was sich auf Artikel 73 Nr.9 und 74 Abs.1 Nr. 11 GG stützt.

Aus dieser Übersicht wird klar, dass der Bund kaum originäre rechtliche Kulturkompetenzen besitzt. Die wachsende Größe der Kulturaufwendungen der Bundesregierung allein durch BKM muss umso mehr erstaunen, als sie in einigen Bereichen rechtlich diffus bis frei schwebend sind.

Dieser Befund ist noch verstärkt, wenn man sich vor Augen führt, was die Bundesministerien, also die tatsächlichen obersten Bundesbehörden an Kunst fördern. Einen Überblick zu gewinnen, ist kaum möglich und offensichtlich ist Transparenz nicht gewollt. Der Bundesrechnungshof hat bereits 2007 eine klare Zuordnung der Förderfelder des Bundes gefordert und zudem eine entsprechende Darstellung zu den Ländern.

Auf Bundesseite sind fördernd tätig das Auswärtige Amt durch die Abteilung für Kultur- und Bildungspolitik (wozu u.a. Goethe-Institut, Institut für Auslandsbeziehungen, DAAD, Deutsches Archäologisches Institut, UNESCO-Kommission, Alexander von Humboldt-Stiftung gehören sowie auch das Haus der Kulturen der Welt, das aber in Berlin steht, also eher systemwidrig vom AA gefördert wird). Hinzu kommen beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zahlreiche Institutionen zu den Geisteswissenschaften – die Historischen Institute im Ausland –, der Künstlerausbildung, der kulturellen Bildung und der kulturellen Integration von Migranten (auch durch BMI). Das Justizministerium befasst sich mit dem Urheberrecht, das Bundeswirtschaftsministerium mit der wirtschaftlichen Filmförderung, das Finanzressort mit dem Spenden- und Stiftungsrecht, und auch das Verteidigungsministerium fördert Kultur durch Spezialmuseen, bei denen das Militärhistorische Museum in Dresden heraussticht. Dass auch das Innenressort kulturfördernd tätig ist u.a. im Bereich „Heimat“ sowie Kirchen- und Religionsgemeinschaften sowie im Sport, ist zum Teil bekannt, zum Teil der Wahrnehmung entglitten.

Wenn die Bundesregierung den sogenannten „weiten Kulturbegriff“ für maßgeblich hält, sollte also mit diesem Terminus für jedes Ressort genau erfasst werden, was institutionell und im Projektwege gefördert wird. Dies alles sollte dann in einen Bericht der Bundesregierung zur Förderung von Kulturmaßnahmen im In- und Ausland zusammengetragen und dem Bundestag mit Zahlen, Daten und rechtlicher Begründung vorgelegt werden.

Aber daran denkt in der Bundesregierung kaum einer, und entsprechende Initiativen des Deutschen Bundestages sind nicht bekannt. Dies ist erstaunlich und kann im Hinblick auf die Darstellungen der Enquete-Kommission von 2006 nicht als obsolet betrachtet werden, dies umso mehr, wenn eine kohärente Bundespolitik bei der Kulturförderung angestrebt wird.

Eine solche wird von der Stabstelle Kultur im Kanzleramt, der BKM, nicht geleistet, diese spielt im Konzert mit den gewichtigen Bundesressorts kaum eine Rolle und kommt aus dem Status der Geduldeten kaum heraus. Dies ist ein Manko, das sich verfassungsrechtlich herleitet, nämlich aus der Tatsache, dass grundsätzlich die Länder und nicht der Bund für Kultur zuständig sind und diese deshalb kein „Bundeskulturministerium“ dulden können und wollen.

Wie rechtlich problematisch die Zuwendungsbedingungen zwischen BKM und den Institutionen der bundesunmittelbaren und bundesmittelbaren Zuwendungsempfänger (ein obrigkeitlicher Begriff, der aber sehr sprechend ist) sind, zeigt sich an Institutionen, die mittels öffentlich-rechtlicher Stiftungen gefördert werden, wie die Akademie der Künste und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Beide wurden durch Bundesgesetz geschaffen. Die dort tätigen Personen sind Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die den Maßgaben des Beamtenrechts unterworfen sind. Der Präsident der SPK wird gar vom Bundespräsidenten ernannt. Wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht – ob als Tarifbeschäftigter oder Beamter – ist dem öffentlichen Dienstrecht unterstellt und lebt und arbeitet in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat. Dies schränkt notwendigerweise den Freiheitsraum des Artikels 5 GG ein, bis auf null. Denn diese Grundrechtsnorm statuiert ein Abwehrrecht der Kunst und Wissenschaft gegen den Zugriff des Staates. Ist die betreffende Person aber selbst Teil der staatlichen Verwaltung, läuft die Schutzwirkung des Grundrechts in Leere. Die Staatstreue geht vor.

Die nach Berliner Landesrecht errichtete privatrechtliche Stiftung zur Errichtung und Betrieb des Humboldt-Forums, des Berliner Stadtschlosses steht vor besonderen Problemen in Konkurrenz zur staatlichen SPK-Stiftung. Sie wird institutionell von BKM und dem BMI gefördert und soll in Kooperation mit der Humboldt-Universität, dem Berliner Stadtmuseum und insbesondere der SPK und der von dieser getragenen sogenannten Staatlichen (!) Museen zur außereuropäischen Kultur und Geschichte (Ethnologisches Museum und Museum für asiatische Kunst) in der seit 2009 als „Stiftung Berliner Schloss-Humboldt-Forum“ firmierende Bundeskultureinrichtung tätig sein. Die privatrechtliche Schloss-Stiftung steht in Konkurrenz zur öffentlich-rechtlichen Stiftung SPK. Das hat Auswirkungen nicht nur organisatorisch, sondern auch im personal-rechtlichen Status der SPK-Beamten und öffentlich-rechtlichen Tarifbeschäftigen, die nun im Humboldt-Forum arbeiten. Und dieses Faktum berührt auch die Begrenzungen des Artikels 5 GG und somit die Frage, ob er seine Schutzwirkung verloren hat, dies umso mehr, als das Forum unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht, womit die privatrechtliche Stiftung – zumindest politisch – in staatliche Höhen emporgehoben wird. Rechtlich eine Grauzone! Drei Bundesressorts sowie BKM entsenden je einen Vertreter in den Stiftungsrat, der Bundestag fünf Mitglieder, mithin neun von 15.

Die Akademie der Künste (AdK) zu Berlin hat eine lange Geschichte, sie geht auf den Preußenkönig Friedrich I. zurück, der sie 1696 noch als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg gründete, um die Idee der Gelehrtengesellschaft zu festigen. Die nach dem Untergang des Kaiserreiches von 1926 bis 1945 bestehende „Preußische Akademie der Künste“ wurde von 1950 bis 1993 als „Deutsche Akademie der Künste“ bzw. ab 1972 als „Akademie der Künste der DDR“ fortgesetzt. In Berlin-West bestand von 1954 bis 1993 die „Akademie der Künste“. Aus den beiden Berliner Institutionen ging dann 1993 die heutige Akademie hervor. Die AdK hat seitdem den Rechtsstatus einer öffentlich-rechtlichen Stiftung; das notwendige Bundesgesetz vom 9.5.2005 ist zum 1.1.2006 in Kraft gesetzt worden. Im Verwaltungsrat hat der Bund die Mehrheit.

Die von der AdK herausgegebene und finanzierte Zeitschrift „Sinn und Form“ erscheint alle zwei Monate mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren. Sie wurde in Berlin (Ost) 1949 gegründet, vom Gründungsjahr bis 1962 war der bedeutende Lyriker Peter Huchel der Herausgeber.

Die staatliche Dauerfinanzierung dieser Zeitschrift hat zu Recht die frei finanzierte Zeitschrift Lette International aus Wettbewerbsgründen auf den Plan gerufen. Während BKM deren vierteljährliches Erscheinen als „Presseorgan“ definiert, das zu fördern dem Staat aus dem Gebot der Staatsferne verboten sei, wird die zweimonatliche Zeitschrift mit fast gleicher Zielsetzung bundesstaatlich finanziert und kein Problem mit der Staatsferne erkannt. Dies grenzt an Willkür und bedarf im Hinblick auf andere Presseorgane, die vom Bund gefördert werden, einer komplexen Untersuchung, und zwar unter Einschluss der staatlich organisierten Verlagsförderung, institutionell und im Projektwege.

Das erfasst das Grundproblem, inwieweit der Staat berechtigt ist, selbst – unmittelbar und/oder mittelbar – als in Kulturdingen Handelnder tätig zu werden. Es hat sich eine Art Kulturkonzern entwickelt, den die Süddeutsche Zeitung anlässlich der 25-Jahrfeier seit Gründung der BKM kritisch angesprochen hat. Die AdK bekommt jährlich 33, 832 Millionen € an Bundeszuwendung, hat eine lange Geschichte, muss sich aber wie alle anderen Zuwendungsempfänger der Bundesregierung und besonders der BKM mit über hundert Institutionen in seinem Portfolio an die föderale sowie grundgesetzlich gebotene Staatsferne halten.

Staatsferne? Kultur ist schön, macht aber viel Arbeit, wusste Karl Valentin. Und es macht viel Arbeit, die Bundeskulturförderung demokratisch transparent und rechtsstaatlich gesichert zu machen.

Der Rechtsstreit von Lettre International gegen die AdK sollte ermutigen, damit anzufangen – Bundestag, Bundesregierung, Bundesrechnungshof – und die publizistische Öffentlichkeit, die um ihre Nischen fürchtet.

Wer die Koalitionsvereinbarung liest, kann nur verzweifeln. Ein Weiter-so ist Programm. Eine Bestandsaufnahme der Kulturfördermaßnahmen des Bundes in allen Ressorts wird nicht in Angriff genommen. Eher bedrohlich ist die Äußerung, dass der Bund sich anmaßt, mehr als nur eine Ergänzung der „Kulturhoheit der Länder“ zu sein. Das berührt die föderale Ordnung des Grundgesetzes. Und völlig entgeisternd ist, dass sich Union und SPD nicht der Legal-Formulierung verpflichtet fühlen, die 2005 einstimmig der Deutsche Bundestag in ein Bundesgesetz geschrieben hatten nämlich eine Selbstdefinition von Deutschland als „europäisch gewachsen Kulturnation und freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat“, im Gesetz zum deutschen Auslandsrundfunk, dem Deutsche Welle-Gesetz. Alles vergessen, alles rechtlich wie politisch irrelevant? Gibt es keine europäisch gewachsene Kulturnation und wie begründet sich diese?

In der gesetzlichen Begründung stand, dass Begriff „Deutschland“ auch ein Synonym für eine Freiheits- und Humanitätsideal sei, das sich in den Werken von Schiller, Goethe, Herder und Heine dokumentiere. Viele Dichter kommen hinzu, auch zahlreich aus dem historischen deutschen Osten, dessen Geschichte nicht auf „die Heimatvertriebenen“ abgeschoben werden darf, Kant, Schopenhauer, Paul Gerhard und Andreas Gryphius begründen auch unser nationales Selbstverständnis ebenso wie Paul Celan, Rose Ausländer und Nelly Sachs. Die Formulierung im schwarz-roten Vertrag vom „Kulturstaat“ ist ein so kleines Karo, dass es weh tut.

Deutschland ist auch Musik, was wären wir ohne Johann Sebastian Bach, ohne die Matthäus-Passion, ohne die 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven, ohne das Requiem von Johannes Brahms, ohne die "Dichterliebe" von Robert Schumann und ohne die beiden Oratorien von Felix Mendelssohn-Bartholdy? Deutsch und europäisch ist die Musik zwischen Hamburg und Wien.

Erstellungsdatum: 16.04.2025