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Aus dem Notizbuch

Wie kam die Hefe in das Baguette?

Eldad Stobezki


John Duncan, Tristan and Isolde (1912). Foto: wikimedia commons

Der Liebestrank ist nicht nur ein Aphrodisiakum, sondern eine bewusstseinsverengende Droge. Böse Zungen behaupten, sie wirke nicht nur bei Tristan und Isolde, sondern auch über die Musik Wagners selbst. Darüberhinaus war Wagner bekanntlich ein Antisemit. Die Diskussion darüber, ob seine Musik antisemitisch sein kann oder ob sie überhaupt etwas sein kann außer sie selbst, kann wohl nicht aufhören. Aber es gibt ja noch anderes in den Notizen Eldad Stobezkis wie Brot und Bier ohne Hefe, rechtwinklige Häuser, folkloristischer Nationalismus, Geiseln in Gaza, Spinnen, Aale und Schnürsenkel.

 

Wie kam die Hefe in das Baguette?

Im Mittelalter wusste man nicht, dass für das Brauen von Bier Hefe notwendig ist. Deshalb erwähnt das ursprüngliche Reinheitsgebot nur Gerste, Hopfen und Wasser als Bestandteile des Bieres. Als ich neulich mit Freunden bei einem Apéro saß, lobten alle die dünnen, delikat belegten Baguette-Scheiben. Das Baguette schmecke so gut, weil es nur aus Mehl, Wasser und Salz bestehe, hieß es. Die Löcher im Baguette flehten mich geradezu an, die Hefe zu retten, mit der der Teig so schön aufgegangen war. Das entfachte eine Diskussion, die nur mit Hilfe der Informationen von Wikipedia zu retten war. Dazu bemerkte ich: „Die Hefe kam in das Bier und das Brot wie die Jungfrau Maria zum Kind.“

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Im Mittelalter glaubte man, dass der Teufel sich in rechtwinkligen Häusern einnisten könne. Deswegen wurden Häuser gebaut, die nicht im rechten Winkel standen. Heute wird nur noch rechtwinklig gebaut. Fürchten wir den Teufel nicht mehr?

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Zur „Last Night of the Proms“ sind die 8.400 Plätze in der Londoner Royal Albert Hall immer ausverkauft. Die Briten können sich vor Begeisterung kaum fassen. Das Konzert endet traditionell mit dem obligatorischen „Rule Britannia“ von Thomas Augustine Arne und Edward Elgars Marsch „Pomp and Circumstances“. Das Empire ist längst Geschichte, aber einen Abend im Jahr bilden die Briten sich ein, sie würden noch die Weltmeere beherrschen. Nun gibt es die „Last Night“ auch beim Schleswig-Holstein Musikfestival. Die 3.300 Zuhörer in der Holstenhalle in Neumünster tobten vor Begeisterung zu den imperialistischen Liedern, und das Orchester musste sie mehrmals wiederholen – jedes Mal lauter und langsamer. Was denkt sich das deutsche Publikum dabei? Sehnen sie sich nach Namibia, oder vielleicht nach Ostpreußen, Pommern und Schlesien?

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Meron Mendel schrieb neulich im Zeit-Magazin über seinen Urlaub in Bayreuth und den Besuch des Opernhauses auf dem Grünen Hügel. Er schrieb: „Die größte Mitschuld an meiner Wagner-Phobie trug meine Großmutter. Ihr Mann hasste alle Deutschen gleichermaßen. Von ihm habe ich den Satz mitbekommen: ,Du sollst alle Menschen lieben – außer den Deutschen.’ Meine Oma hielt zwar nichts von solchen Pauschalierungen, Wagner aber hat sie strikt abgelehnt. Obwohl ihr Vater, also mein Urgroßvater, ein großer Wagner-Fan war. Ihre Aversion traf später auch Daniel Barenboim, als er 2001 in Jerusalem als Zugabe bei einem Konzert das Vorspiel zu ‚Tristan und Isolde‘ dirigierte. Meine Oma und Teile der Knesset erklärten ihn daraufhin zur Persona non grata.“

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Ein Nachbar meiner Eltern, ebenfalls ein deutscher Jude, hatte alle Wagner-Opern auf Schallplatten – sogar Rienzi – und war sehr stolz darauf. Mein Klavierlehrer besorgte mir das Tonband von „Tristan und Isolde“, und ich hörte diese Oper mehrmals mit Partitur. Die hatte ich mir in der Musikbücherei der Israel-Philharmonie ausgeliehen. Mein Vater mochte eher die Ouvertüren, für eine ganze Oper fehlte ihm die Geduld.

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Warum ich nichts über die Geiseln schreibe, wurde ich gefragt. Was kann ich dazu sagen, wenn die israelische Regierung es vorzieht, die Geiseln zu opfern, nur damit die Koalition bestehen bleibt? Ich zitiere die Worte des Propheten Jesaja über Jerusalem: „Ach, sie ist zur Dirne geworden, die treue Stadt. Einst war dort das Recht in voller Geltung, die Gerechtigkeit war dort zu Hause, jetzt aber herrschen die Mörder. Dein Silber wurde zu Schlacke, dein Wein ist verwässert. Deine Fürsten sind Aufrührer und eine Bande von Dieben, alle lassen sich gerne bestechen und jagen Geschenken nach. Sie verschaffen den Waisen kein Recht, die Sache der Witwen gelangt nicht vor sie.“ Nun lese ich gerade, dass der Schekel sehr stark ist und die israelische Börse horrende Gewinne macht. Deshalb, so der Journalist, wird der Krieg nicht beendet – es werden damit Gewinne erzielt. Ich frage mich, wer diese Gewinne macht. Ich kann das kaum glauben. Wenn die Schmarotzerpflanze den Wirt aufgefressen hat, sterben beide.

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Die Spinne webt ein Netz. Dann setzt sie sich in die Mitte und wartet auf die armen Insekten, die sich darin verfangen. Wir aber sind stolz, wenn wir gut vernetzt sind. In eine Reuse wollen wir nicht fallen – das ist für die Aale gedacht, und das Wort „verreust“ gibt es nicht.

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Ich kann mich nicht erinnern, wer mir das Binden der Schnürsenkel beigebracht hat.

Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos

Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt, Frankfurt 2024

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Erstellungsdatum: 15.10.2025