Die Berufung ist eine göttliche Bestimmung, die nicht allen Menschen, die diese von ihrem Beruf erwarten, zuteil wird. Eldad Stobezki fand aber zwei geistliche Exemplare für diese schöne Koinzidenz und darüber hinaus die Erfahrung einer Authentizität in der Stadt Münster, wo einst die Dichterin und Komponistin Annette von Droste-Hülshoff geboren wurde.
Wie klug, dass die deutschen Wörter Beruf und Berufung den gleichen Wortstamm haben. In anderen Sprachen trifft das nicht zu.
Zwei schöne Beispiele fand ich in unserem Urlaubsort Trevignano. Den Pfarrer Vincenzo, genannt Folonari (1930-1964), dessen Berufung zum Pfarrer ihn bestärkte, dem Drängen seiner Eltern zu widersprechen, die sich einen Geschäftsmann gewünscht hatten. Bekannt wurde Folonari durch seine Arbeit mit Jugendlichen. Beim Versuch das Leben eines Kindes zu retten, ertrank er im Lago di Bracciano. Das zweite Beispiel ist Tommaso Silvestri (1744-1789), ein Sohn der Stadt Trevignano, Priester, und der erste Erzieher in Italien, der sich um Taubstumme bemühte. Die von Silvestri angewandte Methode umfasste die Verwendung von Gebärden, Zeichen, Schrift und Sprache, um Gehörlose zu unterrichten und ihnen Möglichkeiten der Kommunikation aufzuzeigen. Am Rathausplatz von Trevignano wurde ein Denkmal für ihn errichtet.
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Freunde hatten uns nach Münster eingeladen. Die Stadt, eingebettet in eine überwältigend schöne Landschaft, überraschte uns auch mit ihrer herrlichen Architektur. Der erste Weg führte uns zur Burg Hülshoff. Dort befindet sich das Center for Literature, in dem entsprechende Veranstaltungen stattfinden, denn in Münster gibt es kein Literaturhaus. Für die Münsteraner, die sich auf ihre Fahrräder schwingen, ist es zu weit, und in der Nacht kommt die weite Fahrt mit dem Fahrrad sowieso nicht in Frage. Das Auto bewegen sie nicht gerne. So sind die Literaturabende draußen in der Burg schlecht besucht. Veranstaltungen mit deutschen Autoren finden oft in englischer Sprache statt, erfuhr ich. Und wieso heißt es „Center for Literature?“ Soll das Internationalität signalisieren? Oder ist es eine EU-Vorschrift? Schämt man sich der deutschen Sprache? Ein Trost, dass Annette das nicht mehr mitbekommt.
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Ein Stück Authentizität erlebten wir in Münster im St. Paulus-Dom, der nach dem Zweiten Weltkrieg, so wie die gesamte Altstadt, Stein für Stein mit Traditionsbewusstsein und westfälischen Fleiß wiederaufgebaut wurde. Die fast 500 Jahre alte astronomische Uhr blieb im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unbeschadet und wurde sorgfältig restauriert. Nur einmal am Tag treten die Könige aus ihrem Sperrholzobdach heraus. Die Metallfiguren tragen bunte Gewänder, die vermutlich in den 1960er Jahren erneuert worden sind. Ihre Diener dagegen sind hölzern – durch und durch. Zu fünft umringen sie das Jesuskind, das seit über 450 Jahren dort auf dem Schoße seiner Mutter sitzt. Der Katholizismus im Norden ist nicht so überfrachtet wie in Bayern, man erstickt nicht in Weihrauchdämpfen. Nach dem Dombesuch schlenderten wir über den Wochenmarkt auf dem Marktplatz. Die Münsteraner essen hier entweder Kartoffelpuffer mit Apfelbrei oder Erbsensuppe. Wir machen das auch. Gemüse, Obst, Fleisch, Fisch – alles frisch und nur halb so teuer wie in Frankfurt. Die Nähe zu den Niederlanden macht sich durch die vielen Käsestände bemerkbar. Die Menschen kennen sich, sie plaudern miteinander. Die Welt scheint noch in Ordnung zu sein.
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Mit Gelassenheit führen die Münsteraner ihre Besucher in den Friedenssaal im historischen Rathaus, darunter viele hochrangige Politiker. Ich würde vorschlagen: Alle Kriege dieser Welt sollten in diesem Raum beendet werden.
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Mit einer Gruppe unterwegs zu sein erfordert stoische Ruhe. Ständig wartet man auf jemanden. Noch einmal zur Toilette, die Sonnenbrille im Zimmer vergessen, und wo ist die Wasserflasche. Endlich bewegt sich die Kolonne. Auf Godot wartet niemand.
Eldad Stobezki
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos
Gebunden, 150 Seiten
ISBN 9783949671159
Edition-W, Frankfurt
Erscheint am 30.09.2024
Erstellungsdatum: 28.08.2024