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Kunst | Musik | Bühne

Reimanns L`invisible an der Oper Frankfurt

Vom Ende zum Anfang

Selten wird die Tatsache, dass sich die reale wie metaphysische Welt aus unzähligen Fragmenten zusammensetzt, so klar widergespiegelt, wie in Aribert Reimanns letzter vollendeter Oper „L`invisible“ (das Unsichtbare). Einzelne Teile für sich betrachtet, hätten weder Bedeutung noch Überzeugungskraft. Erst durch das Zusammensetzen entsteht ein faszinierendes Gesamtbild immerwährender Transformation, zu der der Tod genauso wie das Leben gehört. In der Erstaufführung der Oper Frankfurt wird es, meint Andrea Richter, sinnlich erfahrbar gemacht.  

Giacomo Casanova zum 300. Geburtstag

Er war nie verheiratet

Am 2. April 2025 vor 300 Jahren wurde Giacomo Casanova geboren. Dass er zu einer prominenten Figur des 18. Jahrhunderts wurde, dafür hat er selbst gesorgt. Aus den vielen Facetten seines Lebens wurden aber immer nur wenige verbreitet, so dass jeweils ein verzerrtes, vergröbertes Bild von ihm existiert. Tatsächlich war er ein mannigfaltig talentierter Mann, der mit heute unvorstellbaren Methoden versuchte, seine Existenz und sein Leben zu retten. Nach einer kurzen biografischen Skizze eine Erinnerung an Lasse Hallströms „Casanova“-Film von Marli Feldvoß.

Friedman in der Oper Frankfurt

Die Knie beugen und den Ring küssen

Leoš Janáčeks letzte Oper „Aus einem Totenhaus“ nach den Aufzeichnungen Fjodor M. Dostojewskis aus seinen eigenen Erfahrungen erzählt von den Insassen eines Straflagers. Regisseur David Hermann versetzte das Werk in unsere Gegenwart und zeigt einen Journalisten, der in die Fänge eines repressiven Regimes gerät. Entlang dieser Handlung diskutierte Michel Friedman im Rahmen seiner Gesprächsreihe in der Frankfurter Oper sehr spannend mit dem Leiter des ZDF-Studios in Washington, Elmar Theveßen, die Frage von Opportunismus angesichts der Bedrohung durch autoritäre Staatsideen und -lenker.

Eine Unterhaltung mit Micha Ullman

Wo man Bücher verbrennt

Wenn die Sonne die Seiten umblättert und die Lücken zwischen den Skulpturen sich zu Buchstaben formen, sind wir bei Micha Ullman. Der Künstler, der 1939 in Tel Aviv geboren wurde, in Jerusalem und London studierte, in Düsseldorf und Haifa lehrte, in Berlin lebte und von 1991 bis 2005 eine Professur für Bildhauerei in Stuttgart innehatte, schuf in Berlin das Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung und in Jerusalem das Buchstabenfeld. Christel Wollmann-Fiedler unterhielt sich mit ihm über seine Herkunft und seine Arbeit.

Interview mit hr-Musikchef Michael Traub

Erfolgreicher YouTube-Kanal des hr-Sinfonieorchesters

Das hr-Sinfonieorchester betreibt seit 2012 einen YouTube-Kanal. Er hat sich seitdem zum weltweit erfolgreichsten nicht kommerziellen Kanal für klassische Musik mit über 900 Videos, 520.000 Abonnent:innen, 37,5 Millionen Stunden Wiedergabezeit und insgesamt über 210 Millionen Abrufen entwickelt. Andrea Richter sprach mit dem hr-Musikchef und Orchestermanager Michael Traub.

Händels „Agrippina“ an der Oper Zürich

Sex, Crime and Politics bei den Mächtigen

Ein echter Wurf gelang mit Agrippina dem Opernhaus Zürich in mehrfacher Hinsicht: musikalisch maßstäblich, als Parabel auf die Machtspiele superreicher Oligarchen aktuell und vor allem ungeheuer witzig und hintersinnig inszeniert. Andrea Richter amüsierte sich bei der Premiere aufs Vortrefflichste und erlebte dort vor allem eine bis ins Letzte ausgefeilte Version des frühen Werks des barocken Opern-am-Laufband-Komponisten Georg Friedrich Händel, an der das exquisite Sänger- und Musikerensemble offensichtlich selbst viel Spaß hatte.

Lothar Schirmers und Magdalena Kröners „Die Bienenkönigin nährt am Ende alle …“

Ein langes Leben mit der Kunst

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und mit der richtigen Nase das Potential des ganz Unbekannten aufzuspüren, das macht den erfolgreichen Kunstsammler aus. Wenn er sich dann noch als sorgfältiger Verleger mit der Verbreitung von Kunst Verdienste erwirbt, wird ihm zu Lebzeiten schon ein Nimbus umgeben, der Neugier erregt. Lothar Schirmer hat, um dieser Neugier entgegenzukommen, mit Magdalena Kröner Gespräche über ein langes Kunst-Leben geführt, und Walter H. Krämer hat sich darin vertieft.

Erinnerung an Wolf Rosenberg

„Das macht aber nichts“

Sein Vater war ein jüdischer Hutfabrikant in Dresden. Nach dessen Tod kam Wolf Rosenberg zum Großvater, der ihm eine musikalische Ausbildung ermöglichte. Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte bekam er Kompositionsunterricht bei Stefan Wolpe und nahm an Dirigierkursen bei Hermann Scherchen teil. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete als Musikjournalist. Mit seinen Kritiken und Analysen für Presse und Rundfunk wurde er einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Anlässlich seines 110. Geburtstages erinnert sich die Pianistin Angelika Nebel an den großartigen Musikvermittler.

Annegret Soltau – Werkschau

Radikale Selbstdarstellungen

Annegret Soltau hat allerhand mit sich angestellt. Denn ihren Körper vor allem hat sie als Objekt und Sujet ihrer künstlerischen Behandlungen und Dekonstruktionen verwendet, hat ihn mit Fäden verbunden und Fotos davon zerschnitten, zerrissen und mit Verwerfungen grob vernäht oder mit anderen Aufnahmen collagiert. Sie thematisiert Gewalt, Verletzlichkeit, Schwangerschaft, Familie und gehört zu den bedeutendsten feministischen Künstlerinnen. Marli Feldvoß hat die Eindrücke ihres Besuchs der Werkschau auf der Darmstädter Mathildenhöhe 2006 mit dem Titel „Annegret Soltau – ich selbst“ festgehalten.

Albéric Magnards Oper „Guercœur“ in Frankfurt

Demokratie versus Diktatur

Um 1900 schrieb und komponierte Albéric Magnard die inzwischen fast vergessene Oper Guercœur, der gerade nach dem in der vergangenen Woche durch CDU und FDP erfolgten Bruch des Tabus, mit der in Teilen rechtsradikalen AfD gemeinsame Sache zu machen, besondere Bedeutung zukommt. Andrea Richter ersetzte im Verlauf der Erstaufführungs-Premiere in der Frankfurter Oper die Namen und Rollen der Protagonisten einfach durch die der genannten Parteien und verließ das Haus am Ende zutiefst aufgewühlt von der Frage: Wird es wirklich so weit kommen?

Jacques Offenbachs „Fantasio“ in Wiesbaden

Der Investor auf der Abrissbirne

Die Opéra comique muss nicht komisch sein. Jacques Offenbachs selten aufgeführter „Fantasio“ geht zwar auf eine Komödie von Alfred de Musset zurück, aber der Komponist strebte eine anspruchsvoll-unterhaltende Umsetzung an, der die politische Doppelbödigkeit nicht abhanden kam. An der Staatsoper Wiesbaden haben die Regisseurin Anna Weber und die Dramaturgin Hanna Kneißler zu seiner Musik aber eine Kontrafaktur vorgenommen, eine erhebliche Überschreibung. Margarete Berghoff beschreibt das spektakuläre Ergebnis.

Im Gespräch mit Nedjo Osman

Wir haben uns verloren im Wirbel der Landkarten

Bekannt geworden ist Nedjo Osman als Theatermann und Schauspieler im deutschen Fernsehen. In Köln hat er gemeinsam mit Nada Kokotović das Projekt TKO – Europäisches Roma-Theater verwirklicht. Er arbeitet auch als Übersetzer für Romanes. In Gedichten, die über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden sind, verleiht der schreibende Nedjo Osman den Roma seine lyrische Stimme. Cornelia Wilß traf den Künstler mehrmals in den letzten Jahren und zeichnet hier anhand von Gesprächsnotizen und autobiografischen Texten seine Lebenserinnerungen auf. 

75 Jahre Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“

Harte Arbeit

„Die Schmiere“ taufte Rudolf Rolfs sein 1950 eröffnetes Kabarett, das er als freies, politisch unabhängiges Theater verstand. Subventionen lehnte er stets ab, dafür erhielt die kritische Beobachtung reichlich Raum. Seine Tochter Effi B. Rolfs übernahm 1990 die Leitung und folgt diesen Grundsätzen bis heute. Satire fordere dazu auf, über Dinge nachzudenken, Vorgänge zu durchschauen und Schwächen zu entdecken, fasst sie in einem Gespräch mit Doris Stickler ihre Intention zusammen.  

„Blue Velvet“ von David Lynch

Mit Gewalt ins Unbewusste

Als David Lynchs Film „Blue Velvet“ in die Kinos kam, musste man ihn gesehen haben, und einige Szenen daraus blieben einem auch für immer im Gedächtnis. Warum? Es war vielleicht die parodistische Überführung ins Künstliche, das die vorgeführte Fröhlichkeit und Harmonie der Anfangspassage denunzierte: Da war alles falsch. Der Film löste auch Kontroversen aus, schließlich war er Kult. Nicht für Marli Feldvoß.

Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke“ im Schauspiel Frankfurt

Ganz schön, aber daneben

Aktualität ist gerade im Theater zu einem systemrelevanten Kriterium geworden. Das kann heißen, dass dem Publikum nicht mehr zugetraut wird, Dramen von gestern heute nachzuvollziehen. Es kann aber auch bedeuten, dass der einstige Konflikt inzwischen behoben ist oder wir uns an ihn gewöhnt haben. Arthur Millers Stück „Blick von der Brücke“ von 1955/56 spielt in den frühen 50er Jahren, als es in den USA eine Einwanderungsproblematik und Hungersnöte gab. Martin Lüdke hat in der Frankfurter Premiere die Aktualität verfehlt gesehen.

Erinnerung an David Lynch

Having a good time, all the time.

Eine hinter der oberflächlichen Erscheinung verborgene Wahrheit zu suchen, ist Sache der Metaphysik. Der Regisseur David Lynch, der als Meister des Rätselhaften etikettiert wurde, hat aber nichts verborgen, sondern realistisch die Schönheit, die falsche Idylle, das Begehren, die Grausamkeit und das Entsetzliche, den Alltag in seiner ganzen Oberflächlichkeit gezeigt. Der Filmkritiker Philipp Stadelmaier hat zum Tod Lynchs seine persönlichen Erinnerungen an den großen Filmkünstler aufgeschrieben.

Eine Skizze zur Ideengeschichte der Akusmatik

Der Meister und der Vorhang

Namen gehen manchmal seltsame Wege, bis sie etwas bezeichnen, was gar nicht vorgesehen war. Der Begriff „Akusmatik“ gehört dazu. Darunter verstehen wir heute Musik ohne Musiker, Musik, die nur über Lautsprecher zu hören ist und mit den Elementen der realen Welt über Klangverwandlungen eine alternative Welt erfindet. Das ist vielleicht nichts zum Abtanzen, dafür etwas für Neugierige und echte Entdecker und Entdeckerinnen. Bernd Leukert ist mit seiner Skizze einer kompositionsästhetischen Idee nachgegangen.

Hans Haacke in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Kunst über Systeme

Bevor die Frankfurter Schirn Kunsthalle ab Mai 2025 für drei Jahre zwecks einer umfassenden Sanierung geschlossen wird und das Team ein Interimsprogramm verkündet, kann man sich in den angestammten Räumen mit dem Schaffen des in New York lebenden deutschen Künstlers Hans Haacke in einer Retrospektive vertraut machen. Dessen unbequemes und hochaktuelles Werk lohnt eine umfassende Betrachtung, verrät Isa Bickmann.

Hannelore Hoger. Ein Porträt

Energie und Eigensinn

Das dunkle Timbre ihrer Stimme unterstrich noch ihre selbstsichere Ausstrahlung. Die in Hamburg geborene Schauspielerin Hannelore Hoger, die als Lehrerin Gabi Teichert in Alexander Kluges „Die Patriotin“ die Geschichte ausgrub und sie als Kommissarin Bella Block immer noch im Blick hatte, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Marli Feldvoß hat sie porträtiert.

Zum Tod von Zakir Hussein

Der Trommelzauberer

Zakir Hussain ließ die Tablaklänge rollen, grollen, singen und tanzen und machte aus seinem Schlagwerk ein Melodieinstrument. Als virtuoser Techniker und sensibler Musiker beeinflusste er ganze Musikergenerationen. Im Gespräch mit Clair Lüdenbach erzählte er von seiner Familie und den Veränderungen in der indischen Klassik.

Ein politischer Blick auf die 60. Biennale in Venedig

Kunst und Macht

Die venezianische Kunstbiennale ist international angelegt. Die Pavillons in den Giardini und die Abteilungen im Arsenale sind den Nationen zugeteilt, darin sie zeigen, was sie für aktuell und wichtig halten. Das war 2024 anders. Gemäß dem Motto „Foreigners Everywhere” – „Fremde überall“ haben sehr viele KuratorInnen die Kunst anderer Völker und Nationen zu sich eingeladen, die sich wiederum auf andere bezogen. An Mannigfaltigkeit war also kein Mangel. Jutta Roitsch hat die Kunstschau nach politischer Relevanz durchsucht.

Über „Tsahal“ von Claude Lanzmann

Israels Traum vom reinen Soldaten

1948 wurde Israel, der mythenreiche Nationalstaat des jüdischen Volkes, gegründet und zugleich die israelischen Streitkräfte. Als Claude Lanzmann zwischen 1991 und 1994 für den letzten Teil seiner Trilogie (nach „Warum Israel“ und „Shoah“) in Israel Gespräche mit Angehörigen des Militärs, aber auch mit Sprechern der Friedensbewegung, Siedlern aus dem Westjordanland und Palästinensern führte, änderte sich das Bild, das er von der Politik Israels und seiner Armee hatte. Marli Feldvoß beschreibt seinen Film „Tsahal“.

Alban Bergs Lulu in Frankfurt

Notwehr bis zum Tod

Alban Bergs Oper „Lulu“ von einer Frau in Szene gesetzt und damit aus weiblicher Sicht präsentiert. Das kommt sehr selten vor. In der Neuinszenierung von Nadja Loschky an der Oper Frankfurt ist Lulu keine schillernde Femme fatale, sondern eine verzweifelte Zerstörerin, die selbst zerstört wird in einer patriarchal-misogynen Gesellschaft, der es an Empathie mangelt. Andrea Richter hat die Premiere erlebt.

Ewalina Marciniak inszeniert den „Großen Gatsby“ in Frankfurt

Ein armes Würstchen

Vor hundert Jahren demonstrierte das Glamourpaar Zelda und F. Scott Fitzgerald den Hedonismus der begüterten Klasse Amerikas – bis zur permanenten Verschuldung. Das schloss nicht aus, dass der damals schon berühmte Schriftsteller Fitzgerald in seinem Roman „Der große Gatsby“ diese Partygesellschaft distanziert und mitleidlos schilderte. Ihn für die Bühne zu dramatisieren, ist sicher eine Herausforderung. Martin Lüdke beschreibt, was daraus geworden ist.

Künstlerporträt und Interview

Weltklasse-Geiger Augustin Hadelich

Sein Name wird von dem Ruf begleitet, zu den Künstler:innen zu gehören, die die Kunst des Violinspiels dieses Jahrhunderts prägen. Dafür spricht tatsächlich vieles. Denn die Klangwelten, die er erschafft, verzaubern. Auf der Basis technisch allerhöchsten Niveaus erzählt er sensibel, geradezu poetisch die musikalischen Geschichten egal welches Komponisten mit mitreißender Ton- und Interpretationssprache. Andrea Richter hatte die Gelegenheit, ein Interview mit Augustin Hadelich zu führen.

Leben und Tod von Otto Freundlich

Farbkasten im Küchenherd

Otto Freundlich war Maler, Bildhauer und Autor, einer der ersten Künstler der Abstraktion, Jude, Kommunist und Kosmopolit. 1908 zog er nach Paris ins Bateau-Lavoir, wo er sich mit Picasso, Braque, Gris und Apollinaire befreundete. Unter der Vichy-Regierung musste er fliehen, wurde mehrfach verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Johannes Winter ist seiner Geschichte nachgegangen.

Gespräch über „Cloud Walks"

Zwischen der Kunst und den Wolken gibt es eine Wahlverwandtschaft

Gerhard Lang untersucht Wahrnehmung mit bildlichen und performativen Mitteln. Isa Bickmann hat mit dem Künstler über seinen New Yorker Wolkenspaziergang, über das Erfahren des Stadtraums mittels des Rückwärtsgehens mit einem Claude-Lorrain-Spiegel, den L'intervento minimo (kleinstmöglichen Eingriff) und die Vorzüge des Schwarz-Weißen korrespondiert.

„Messias“ in der Komischen Oper Berlin

Halleluja für Berlin

Wie sehr die Kultur in Berlin zur Stadt gehört, diese sie will und braucht, wurde wieder einmal mit der Produktion des „Messias“ der Komischen Oper klar. In den Hangar 4 des alten Flughafen Tempelhof strömten an 12 Abenden insgesamt 22.000 Besucher:innen, um einer der wahrscheinlich ergreifendsten Oratorien-Shows ihres Lebens beizuwohnen. Auch Andrea Richter war fasziniert und hält die geplanten drastischen Kürzungen im Kulturetat der Stadt für mehr als kontraproduktiv.

Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“

Vom Regen in die Traufe?

Dass wir, wenn es um Gefühle geht, Analphabeten sind, muss ja nicht bedeuten, dass unsere Gefühle alphabetisierbar sind. Wer wollte Standardgefühle, die im Gefolge der Benennbarkeit entstehen, eintauschen gegen das Unsagbare, oft Unsägliche? Einst sprach man von der Verdinglichung der Gefühle, mit der nicht nur Hollywood Geschäfte machte. Ingmar Bergman hat in den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Spannung zwischen Verständigung, Verständnis und Ratlosigkeit gestaltet. Martin Lüdke hat die „Szenen einer Ehe“ in Form eines Bühnenstücks im Schauspiel Frankfurt gesehen.

Nachruf auf Kris Kristofferson

Der wandelnde Widerspruch

Er verkaufte sieben Millionen Alben und war mit seinen Filmrollen sehr erfolgreich. Und doch oder vielleicht deshalb: Kris Kristofferson (1936-2024) war der wandelnde Widerspruch, wie es in einem seiner besten Lieder hieß. Musik drehte sich immer schon um Sex, auch im Country. Aber die freizügige, bekifft-unbeschwerte Spielart hielt in Nashville erst mit dem Texaner Einzug. Ein Nachruf auf den Songwriter und Schauspieler von Martin Wimmer.

Ottorino Respighis Oper „La Fiamma” in Berlin

Monumental frisst Emotion

Netto zwei Stunden Grauen, Geschrei, Getöse, Flammen und Eisnebel bei brutto zwei Stunden und zehn Minuten Spieldauer einer Oper sind selbst für passionierte und neugierige Musiktheaterfreaks zu viel. Bei der Premiere von Ottorino Respighis „La Fiamma“ in der Deutschen Oper Berlin schaltete sich zumindest Andrea Richters Gefühlsleben einfach ab und wartete aufs Ende der Katastrophe.

Euripides, Aischylos und Sophokles in Hamburg

Blindwütige Suche nach der Wahrheit

Die Tragödie stehe zwischen „Mythos“ und „Logos“, zwischen Ursprungsdenken und Metaphysik, schrieb in seiner „Kritik der Tragödie“ Wolfram Ette, damit stehe sie aber auch gegen beide. Vielleicht ist die frühe griechische Bühnenkunst deshalb unverwüstlich und ewig neu. Sie verhandelt unsere Probleme. In Hamburg hat die inszenierende Intendantin Karin Beier unter dem Titel „Anthropolis-Marathon“ fünf der klassischen Tragödien angeboten, die Walter H. Krämer alle gesehen hat.

Bachmann/Henzes „Der Prinz von Homburg“ in Frankfurt

Zwölfton-Belcanto

„In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“. Ausgerechnet am Abend der brandenburgischen Landtagswahl lauteten so die letzten Worte der ersten Premierenproduktion „Der Prinz von Homburg“ in der neuen Spielzeit der Oper Frankfurt. So wie das Bundesland mit einem Dilemma konfrontiert war und ist, ergeht es dem Titelhelden in Henzes Werk. Der Hauptunterschied zwischen Bühnen- und politischem Realtheater? Die Oper überzeugte in jeder Hinsicht und bescherte Andrea Richter große innere Bereicherung.

Saisonstart: Goethes „Faust“ (1 & 2) in Frankfurt

Das fängt ja gut an

Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft – das sagt sich so mephistophelisch leicht dahin. Doch wer weiß denn, was damit gemeint ist? Goethe hat den ersten volkstümlich-kritischen Teil des „Faust“, aber auch den visionären, weit ausgreifenden zweiten Teil mit paradoxen und aporetischen Sentenzen durchsetzt, die einem zu denken geben. Dass der gesamte „Faust“ für allfällige gesellschaftspolitische Interpretationen taugt, beweist, dass er nicht von gestern ist. Die Version, die jetzt in Frankfurt Premiere hatte, ist bei Martin Lüdke auf positive Resonanz gestoßen.

Ausstellung „Städel | Frauen“ in Frankfurt

Beruf: Künstlerin!

In den letzten Jahren bekommen die vergessenen Künstlerinnen der Kunstgeschichte zunehmend Präsenz in den Ausstellungsprogrammen. Allerdings kann dies nur unter forschendem Engagement seitens der Kurator*innen geschehen, ist doch vieles bislang unbekannt geblieben: Biografien müssen recherchiert, der Standort der Werke gefunden werden. Die Künstlerinnen dem Vergessen zu entreißen, ist Verpflichtung und Fleißarbeit. Einen solchen Forschungszwischenstand bietet das Städel Museum mit seiner Schau „Städel | Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“, die sich den Netzwerken der Künstlerinnen um 1900 widmet. Isa Bickmann hat sie besucht.

Punkrock DDR

Überschäumende Lebensfreude

Punk, der im Westen wirkte wie eine Einbrecherbande, die die Wohnungseinrichtung zertrümmert, sonst aber für das etablierte gesellschaftliche Gefüge keine Gefahr darstellte, wurde in der autoritären DDR in den Rang eines Staatsfeindes erhoben. Die provozierende Lebensfreude wurde auf diese Weise selbst politisch. Henryk Gericke, einst an der Ostberliner Kultur-Opposition beteiligt, hat ein Buch darüber geschrieben und für TEXTOR klärende Informationen zur Verfügung gestellt.

Zum Tod Rebecca Horns

Nur erschöpft

Elegant, poetisch, zwiespältig und konzeptuell zugleich sind die Werke Rebecca Horns, deren international ausgezeichnetes Œuvre an die wichtigsten Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts anschließt. Am 6. September 2024 ist die im hessischen Michelstadt geborene Künstlerin im Alter von 80 Jahren gestorben. Ihr Schwerpunkt lag auf Skulpturen und Installationen, sie schuf aber auch Filme, Gedichte und Zeichnungen. Ursula Grünenwald erinnert an ihr Schaffen.

Gespräch mit Karola Gramann und Heide Schlüpmann über Alice Guy

Falling Leaves

Die Filmwissenschaftlerin Karola Gramann verabschiedet sich nach 25 Jahren von der Kinothek Asta Nielsen mit einer persönlichen Auswahl besonderer Schätze der Filmgeschichte in Frankfurt vom 12. bis 15.9. und in Berlin am 1. und 2.11.2024. Als Hommage an sie bringen wir ein Gespräch, das Isa Bickmann mit ihr und der Kinothek-Mitgründerin und Filmprofessorin Heide Schlüpmann 2012 über die Filmpionierin Alice Guy führte, deren Film „Falling Leaves“ aus dem Jahre 1912 auch im Abschiedsprogramm gezeigt wird.

Vor 15 Jahren starb Pina Bausch

Was Menschen bewegt

Die Ursache des Konflikt auf die Tutu-Fraktion der konservativen Ballett-Liebhaber abzuschieben, wäre zu einfach. Was Pina Bausch in Wuppertal ins Werk setzte, war ein Angriff auf das Selbstverständnis der Kategorie Ballett, die Ersetzung der formalisierten Choreographie durch eine permanent sich weiterentwickelnde, emotionalisierte Körpersprache. 15 Jahre nach ihrem Tod haben viele Kollegen von ihr gelernt, – ob sie’s wissen oder nicht. Walter H. Krämer erinnert an die große Tänzerin und Choreographin.

Frauen und Musik in Afghanistan

Wo man singt, da lass dich nieder….

Dass Singen und Spielen keine harmlosen Lebensäußerungen sind, hat nicht nur die katholische Kirche immer wieder bestätigt. Betroffen von den Einschränkungen und Verboten des Musizierens waren besonders, und das vor allem in der Gegenwart, die Frauen. In Afghanistan, wo seit 2021 wieder die radikal-islamistischen Taliban herrschen, gehört das Musikverbot zu den Instrumenten der totalen Unterdrückung. Clair Lüdenbach skizziert die Geschichte.

Der Fotograf Alexander Paul Englert

Die alltägliche Normalität

Als sich die Fotografie in der Gesellschaft durchsetzte, sahen sich die Maler der realistischen Kunst ihrer Kompetenz beraubt. Zu unrecht. Die Lichtbildner ihrerseits versuchten, neben den dokumentarischen auch die kunstmalerischen Möglichkeiten in das neue Medium zu übertragen. Heute durchdringen sich Realismus und Bildgestaltung zumeist. Alexander Paul Englert sieht seine Kunst in der unspektakulären, intuitiven Erfassung der Möglichkeiten, die die Situation anbietet. Doris Stickler porträtiert den Fotografen.

Der Theatermann Willy Praml wird 83

Das Schwierige gewagt

„To play or not to be" – so darf man wohl das Lebens- und Arbeitsmotto des Theatermenschen Willy Praml verstehen. In der hessischen Theaterlandschaft ist der in Niederbayern geborene Willy Praml eine feste Größe. Seit 1971 macht er Theater: Zunächst mit Aufsehen erregenden Inszenierungen mit Jugendlichen und Laien. Später mit dem 1991 gegründeten Theater Willy Praml. Walter H. Krämer macht auf den Jubilar aufmerksam.

Betrachtungen nach Wolfgang Rihms Tod

Jetzt trocknet die Tinte

Bevor er als 16-Jähriger Kompositionsunterricht nahm, hatte er sich schon mit Streichquartett und Streichorchester ausprobiert. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geriet Wolfgang Rihm zehn Jahre später mit seiner Kammeroper „Jakob Lenz“, in der alte und neue Musik gleichberechtigt nebeneinander stand. Er war ein gefragter, weltberühmter und beliebter Komponist; seine überbordende Werkliste zeigt den rastlos Schaffenden. Achim Heidenreich beschreibt seine Arbeitsweise.

Komische Oper Berlin im Schillertheater

Stoppen Sie diese Schande!

Die Komische Oper gehört in Berlin zu den Musikhäusern, denen der Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne hinsichtlich Repertoire und Präsentation gelungen ist. Noch dazu erreicht sie besonders wirksam ein breitgefächertes Publikum. Nun soll die Oper möglicherweise dauerhaft ins Schillertheater verlegt werden. Dagegen hat Barrie Kosky, ehemaliger Intendant und Chefregisseur der Berliner Bühne, mit einem offenen Brief protestiert. Andrea Richter beschreibt die Situation.

„Unmögliche Verbindung“ in Bregenz

Wie, schon zu Ende?

Die Bregenzer Festspiele sind bekannt für ihre Opern- und Operettenspektakel auf der Seebühne. Dass es dort auch eine Werkstattbühne nebenan gibt, auf der Zeitgenössisches uraufgeführt wird, ist weitgehend unbekannt. Ende Juli 2024 kam dort das Musiktheaterwerk „Unmögliche Verbindung“ des tschechischen Komponisten und Dirigenten Ondřej Adámek mit dem Ensemble Modern zur Uraufführung, das Andrea Richter auf eine emotionale und kurzweilige Achterbahnfahrt mitnahm.

Wim Wenders und das Kino der 1980er Jahre

Der Reisende und der Schneider der Zeit

1982 hat Wim Wenders im Zimmer 666 des Hotels Martinez in Cannes seine Regisseur-Kollegen versammelt, um ihnen Fragen zur Zukunft des Kinos zu stellen. Dass dabei immer wieder die wahrhaft dialektische Entscheidung ins Zentrum rückte, ob der Film die Wirklichkeit schafft oder als Produkt der Realität aufscheint, ist angesichts der Wirkmacht des Kinofilms nicht verwunderlich. Ulrich Breth reflektiert die Ideengeschichte, die sich in den Aussagen der Dokumentation spiegelt.

CD-Besprechung

Fern jeder Beliebigkeit

Zwischen Spark und Bird hat es gefunkt. Das Kammermusik-Ensemble, das sich selbst als klassische Band bezeichnet, und die irische Singer-Song-Künstlerin Wallis Bird haben ein großartiges, überraschendes Album eingespielt: „Visions of Venus“. Der Titel ist Programm. 18 Stücke von Komponistinnen aus nahezu einem Jahrtausend. Bestechend sind neben der Auswahl der Stücke die Arrangements und vor allem das hohe künstlerische Niveau, in dem sich vermeintlich Unzusammengehörendes von Epochen, Stilen und Genres vereinen, meint Andrea Richter.

Literarische Meditation

Zwischen Bach und Casals

In seinem jüngsten grandiosen Roman „No te veré morir“ (Seix Baral) verweist Antonio Muñez Molina wiederholt auf die Musik von Johann Sebastian Bach – insbesondere auf seine Cello-Suiten – sowie auf den legendären Cellisten Pablo Casals, der vor 50 Jahren verstorben ist. Die Monatszeitschrift Tinta Libre bat den Autor um eine literarische Meditation über diese Musik, und Claudia Gehricke übersetzte den Beitrag aus dem Spanischen für Textor.

Theater für Kinder

Vogel anderswo

„Zuhause und Anderswo“ waren die  ersten Gedanken von Stephan Wolf-Schönburg, als er ein Stück über Flucht für Kinder entwickeln wollte. Eben nicht zuhause zu sein, sondern anderswo und in den Augen der Anderen von anderswo zu kommen. Wie kann das Trennende überwunden und zum Verbindenden werden? Ein zentrales Element war für ihn von Anfang an, die Sprache des Anderen, des Ankommenden, des von wo anderswo Seienden, denen, die ein Zuhause haben, näherzubringen. 

12-teilige ARTE-Serie

Die Mafia tötet nur im Sommer

In der Mediathek des Fernsehsenders ARTE ist derzeit die bemerkenswerte 12-teilige Serie „Die Mafia tötet nur im Sommer“ zu finden. Auf der erzählerischen Oberfläche der Geschichte einer fiktiven kleinbürgerlichen Familie in Palermo wird ein bedrückendes Thema abgehandelt: Die sehr realen Machenschaften der Cosa Nostra, ihres Einflusses auf die Stadt und ihre Menschen in den Jahren 1979/80. Die Serie war bei ihrer Ausstrahlung 2013 auf RAI -TV in Italien ein Renner. Sehr sehenswert findet Andrea Richter sie heute noch.

Zur Musik von Ernstalbrecht Stiebler

Achte auf die Stelle unter deinen Füßen

Ernstalbrecht Stiebler, der im Juni 2024 gestorben ist, war eine der letzten Persönlichkeiten der musikalischen Nachkriegsavantgarde. Der Komponist und hr-Redakteur gehörte zu den profilierten Komponisten, die in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts an Arnold Schönberg und Anton Webern sowie an Karlheinz Stockhausen anknüpften, um dann ein eigenes, radikales Musikdenken zu entwickeln. Stefan Fricke, einer der Nachfolger Stieblers in der Redaktion der Neuen Musik des Hessischen Rundfunks, beschreibt sein musikalisches Denken.

Ausstellung im Kunst Archiv Darmstadt

Helga Föhl

Die Bildhauerin Helga Föhl (1935–2022) vermachte noch zu Lebzeiten ihren Nachlass dem Kunst Archiv Darmstadt. Dort ist nun ein Teil ihres Schaffens in einer großen Einzelausstellung zu sehen. Es handelt sich um die letzte Ausstellung, die Claus K. Netuschil, der Gründer und langjährige Vorstandsvorsitzende des KAD, organisiert hat. Im letzten Monat hat er seinen Vorstandsposten an ein neues Team abgegeben. Kenneth Koark hat sich die Ausstellung angesehen.