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Licher Literaturpreis 2025: Laudatio für Sissi Tax

Untergründigst taxlich

Im September 2025 nahm die steirische Wahlberlinerin Sissi Tax für ihr Buch „das abc der sissi tax“ den Licher Literaturpreis entgegen. Mit ihrer spielerischen Prosa, heißt es in der Begründung der Jury, „entfacht ein regelrechtes Sprachfeuerwerk und eröffnet damit einen faszinierenden Zugang zur Sprache. Aus der assoziativen Reihung ganz unterschiedlicher Stichwörter entstehen originelle Bedeutungszusammenhänge, in denen sich der Reichtum der Sprache, auch der des Alltags, enthüllt.“ Ruth Sonderegger ist vertraut mit der literarischen Arbeit Sissi Tax‘. Ihre Laudatio auf die Preisträgerin spricht davon.

Aus dem Notizbuch

Wie kam die Hefe in das Baguette?

Der Liebestrank ist nicht nur ein Aphrodisiakum, sondern eine bewusstseinsverengende Droge. Böse Zungen behaupten, sie wirke nicht nur bei Tristan und Isolde, sondern auch über die Musik Wagners selbst. Darüberhinaus war Wagner bekanntlich ein Antisemit. Die Diskussion darüber, ob seine Musik antisemitisch sein kann oder ob sie überhaupt etwas sein kann außer sie selbst, kann wohl nicht aufhören. Aber es gibt ja noch anderes in den Notizen Eldad Stobezkis wie Brot und Bier ohne Hefe, rechtwinklige Häuser, folkloristischer Nationalismus, Geiseln in Gaza, Spinnen, Aale und Schnürsenkel.

Nicolas Sarkozy zieht um

Die Straße der Gesundheit

Der Berg, auf dem die lyrisch gestimmten Studenten aus dem Quartier Latin ihre Gedichte zu rezitieren pflegten, wurde von ihnen nach dem griechischen Sitz der Musen Mont Parnasse genannt. Ursprünglich war das ein gigantischer, spätmittelalterlicher Schutthaufen. Heute hören wir bei der Erwähnung des Quartier du Montparnasse in unserem Inneren die Musette auf dem Akkordeon und andere verschüttete Souvenirs klingeln. Aber der Stadtteil hat auch seine unerbittlichen Seiten. Rainer Erd erzählt von einem, der umzieht.

„Wallenstein“ an den Münchner Kammerspielen

Des Kaisers Feldherr und Putins Koch

Der böhmische Generalissimus Herzog Albrecht von Wallenstein, der im Dreißigjährigen Krieg die katholische Liga gegen die protestantischen Fürsten und die Streitmächte aus Dänemark und Schweden führte, wurde schließlich auf Anweisung des Kaisers Ferdinand II. ermordet. Friedrich Schiller hat ein gewaltiges, dreiteiliges Theaterstück daraus gemacht, das in den Münchner Kammerspielen inszeniert wurde. Regisseur Jan-Christoph Gockel hat das Drama küchentechnisch gedeutet und in das siebenstündige „Schlachtfest“ auch noch aktuelle Bezüge integriert. Walter H. Krämer war dabei.

Kurt Gerstein: SS-Obersturmführer im Widerstand?

Schaf im Wolfspelz

Die Verstrickungen des hochrangigen SS-Mitglieds und Hygiene-Spezialisten Kurt Gerstein in die Massenvernichtung des NS-Regimes sind bis heute umstritten. Nach der Befreiung als Belasteter eingestuft, wurde er 1965 juristisch rehabilitiert. Seit Anfang der 2000er Jahre mehren sich die kritischen Stimmen. Gerd Laudert hat sich mit den konträren Sichtweisen befasst und hält es für angebracht, noch einmal neu und genauer auf die Causa Gerstein zu schauen.

Elliott Sharp in Frankfurt

Am Anfang ist das Ende nahe

TEXTOR veranstaltete in Verbindung mit der Frankfurter Galerie Hübner + Hübner einen Abend mit Elliott Sharp. Sharp, Komponist, Produzent, Multiinstrumentalist, bildender Künstler und Pädagoge, der Gruppen wie SysOrk, Orchestra Carbon, Terraplane oder Tectonics gründete und leitet, schrieb nach „IrRational Music“ aus dem Jahr 2019 ein zweites Buch „Feedback: Translations From The IrRational“, das er in Frankfurt vorstellte. Hans-Jürgen Linke hat den Abend mit Lesung und Gitarrenmusik mit Gewinn besucht.

Die Dreigroschenoper am Staatstheater Mainz

Und der Haifisch hat noch immer Zähne

„Die Dreigroschenoper“ gilt als einer der weltweit größten Theatererfolge. Begleitet von Kurt Weills mitreißender Musik prangerte Bertolt Brecht hier 1928 die Ausbeutung und wachsende Verelendung der weniger Begüterten an. Komprimiert hat er seine Kapitalismuskritik in dem zum Klassiker gewordenen Satz „Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral“. Margarete Berghoff war in der aktuellen Inszenierung am Staatstheater Mainz und ist nicht nur vom Geschehen auf der Bühne begeistert. Neben äußerst niedrigen Eintrittspreis erhalten die Zuschauer:innen kostenlos Brezeln, Spundekäse und Getränke.

Ausstellung „What Are You Thinking?“ im Portikus Frankfurt

Rascheln und Kippeln

Wie kann das gehen, was Susan Sontag in ihrem Essay „Against Interpretation“ fordert: Mehr sehen und fühlen, dafür weniger interpretieren? Die beiden Kuratorinnen Liberty Adrien und Carina Bukuts nehmen in ihrer Abschiedsausstellung Sontags Überlegungen zum Ausgangspunkt, um im Portikus Frankfurt einen Parcours zu gestalten, dessen Objekte so wenig preisgeben, dass sie permanent den Titel der Schau „What Are You Thinking“ in Erinnerung rufen. Ursula Grünenwald hat die sehenswerte Ausstellung durchquert und ihre Beobachtungen notiert.

Hans Joachim Schädlichs Band „Bruchstücke“

Aber hallo!

Man sollte erwarten, dass man zum Geburtstag – selbst zum 90. – Geschenke bekommt. Bei Hans Joachim Schädlich ist es umgekehrt. Er hat sich seine Gedanken gemacht, sie in Form von anekdotischen Notizen gesammelt und in ein Buch gepackt, das er seiner Leserschaft zum Jubiläum offeriert. Auf diese Weise ist es freilich auch ein Geschenk an sich selbst. Martin Lüdke hat nun in seinem Geburtstagsartikel seine Erinnerungen dazugelegt und sich am Buch erfreut.

Björn Höcke und die AfD

Der rechte Extremist

Jedem ist bekannt, dass die Demokratie vor ihren Feinden, die sich demokratischer Strukturen bedienen, um sie zu zerstören, nur schlecht wehren kann. Die Gefahr besteht in allen westlichen Demokratien. In Deutschland geht sie von einer Partei aus, in der ein Politiker geradezu modellhaft die völkische Gesinnung verkörpert, die fälschlicherweise als überwunden galt. Helmut Ortner stellt ein neues Buch vor, das beschreibt, wie Björn Höcke wurde, was er ist, wie sein Denken und seine Propaganda funktionieren und wie er es schaffte, die AfD zu dem zu machen, was sie heute überwiegend ist: rechtsextrem.

Die regionale Revolte: Schüler-Aufstand 1969

Live im Fernsehen!

Eine der grundsätzlichen Forderungen der Studentenrevolte in den Jahren 1967/1968 war die nach einer Bildungsreform. Die Administration aber konnte sich nicht von ihren alten hierarchischen Vorstellungen trennen. Der Muff von tausend Jahren befand sich nicht nur unter den Talaren, sondern in den Köpfen. Daraus entspringende Willkür stieß aber auch in den Gymnasien, wo sich der Emanzipationsgedanke ebenfalls verbreitete, auf den Widerstand der Schüler. Frank Schuster hat ein Buch über den Schüleraufstand in Darmstadt 1969 geschrieben, und PH Gruner hat es gelesen.

Jugendliche auf der Suche nach Sinn und Zugehörigkeit

„Vielleicht, vielleicht auch nicht“

Es entspricht dem Gleichheitsgebot, auch denen ein schulisches Angebot zu machen, denen Bildung und Ausbildung nicht in den Schoß gefallen ist. Solange aber über die Art und Weise und das Ziel einer beruflichen Anbahnung unterschiedliche Auffassungen herrschen, solange Jugendliche keine Aussicht auf eine Arbeitsstelle haben, laufen alle Bemühungen ins Leere. Jutta Roitsch hat nach den letzten Umfragen eine widersprüchlich-betrübliche Vorstellung bekommen.

Über die Liebe zum Theater als Ergebnis der Sozialisation

Mein Leben als Voyeur

Es ist ein Unterschied um’s Ganze, ob man kulturelle Institutionen wie das Theater nicht besuchen will, ob man keine Gelegenheit dazu hat oder ob einem die Möglichkeit gar nicht erst angeboten wird. Letzteres ist eine Bevormundung durch Unterlassung. Denn spätestens seit Beginn der Schriftlichkeit gehört das Theater zu den wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation. Alles, was auf der Bühne geschieht, ist von Bedeutung. Wie alle Kunst ist Theater aber immer auch ein Wagnis. Thomas Rothschild erzählt von dem großen Vergnügen, sich hineinziehen zu lassen in das Spiel, das Verstand und Gemüt bewegt.

Lily Brett im Gespräch mit Marli Feldvoß

Viel Vergangenheit im Kopf

Als Tochter von Auschwitz-Überlebenden wurde Lily Brett 1946 in Bayern geboren. Da ihre Eltern das Land der Täter bald verließen, wuchs sie in Australien auf. Dort machte sie sich zunächst durch Interviews mit Popgrößen wie Jimi Hendrix, den Rolling Stones oder The Who als Musikjournalistin einen Namen. Seit ihrem Roman „Einfach so“ ist sie auch als feste Größe im Literaturbetrieb verankert. Marli Feldvoß hat Lily Brett 1999 und 2006 interviewt und sie in den Gesprächen auch nach biographischen Details und ihrem Verhältnis zu den Deutschen befragt.

Der Charlie Kirk-Mythos – verkehrte Welt

Die Werte des Westens

Seit der Trennung Europas in eine westlich-lateinische und eine östlich byzantinisch-orthodoxe Welt seit Karl dem Großen haben sich offenbar auch die Welt-Anschauungen unterschiedlich entwickelt. Und vielleicht etabliert sich darüberhinaus gerade eine dritte, transatlantische, die sich im profanierten Märtyrertum offenbart. Matthias Buth ist der Gesinnung Charlie Kirks nachgegangen und dem Verständnis westlicher Werte.

Yanick Lahens Roman „Mondbad"

Zeit ohne Scham

Trotz der immer weiter wachsenden Gefahren hat sich die international ausgezeichnete, haitianische Autorin Yanick Lahens weiterhin entschieden, ihren Lebensmittelpunkt in Port-au-Prince zu bewahren. Hier ist ihr Werk verwurzelt, hier entstand auch der in Frankreich mit dem Prix Femina 2014 ausgezeichnete Roman „Mondbad“, der nun ins Deutsche übersetzt worden ist. Der Roman spürt den Wurzeln nach, die die Gegenwart des Karibikstaates bis heute prägen und lenkt den Blick vor allem auf die Lebensweise der Menschen, die innerhalb traditioneller Hofgemeinschaften in der bäuerlich geprägten Provinz überdauert haben, stellt Andrea Pollmeier fest.

Nina Simones und Frank Sinatras „I Did It My Way” an der Oper Stuttgart

Sie tun’s auf ihre Art

Warum setzen wir uns immer wieder mit dem Theater und der Oper auseinander? Weil die Bühnenkunst beansprucht, das künstlerisch zu verwandeln, was uns wesentlich angeht. Das kann komisch oder tragisch daherkommen – die intelligente Arbeit ist in künstlerischer Hinsicht immer erfolgreich, setzt kollektive Reflexion in Gang und kollidiert stets mit dem Geld, weil Gewinnstreben und Einsparungen destruktiv wirken. Thomas Rothschild hat sich in der Stuttgarter Oper „I Did It My Way” angesehen – ein Stück, das nicht von Nina Simone und Frank Sinatra verfasst wurde – und geht ins Grundsätzliche.

Der „Fall Paul de Man“ als literarisches Faktum

Autor, Täter, Held

Wie chinesische Legenden Maler in ihren Bildern verschwinden lassen, Poeten in ihren Gedichten, so kann auch im Westen ein Sprachwissenschaftler in den Mythen der Öffentlichkeit weiter existieren, deren Bedeutung er selbst über die Fakten erhoben hat. Felix Philipp Ingold bringt Paul de Man in Erinnerung, seine Thesen, sein kompliziertes Leben und dessen Bild in den Medien.

Aus dem Notizbuch von Eldad Stobezki

Krieg, Honig, Sternschnuppen

Es sind „die schweren Ereignisse“, die selbst die flüchtigen, natürlichen Vorgänge in Eldad Stobezkis Notizen grundieren: den Kibbuz, die Avocadoplantagen, das Summen der Bienen, den Buchweizen- und Avocadohonig, das Saatgut, die Zeit, die Oper und die Alpen, Unterhosen und Meisenknödel. Nicht zu vergessen: der Perseidenregen.

Auf dem Pariser Friedhof Montparnasse

Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo müssten keine großen Wege zurücklegen

Die Nouvelle Vague hat ihre Toten, soweit sie in Paris verblieben, in die drei Prominentenfriedhöfe gespült. Viele von ihnen auf den Cimetière du Montparnasse, wo sie unsortiert und ohne Drehbuch in den stummen Rollen ihres Nachruhms verharren. Sie, die das Kino mit ihren Meisterwerken erneuert haben, sind dort verstreut und wollen gefunden werden. Rainer Erd bietet sich für eine cineastische Friedhofsführung an.

Così fan tutte in der Oper Frankfurt

Szenen einer geplanten Hochzeit

Ist die Heirat das Ende einer stabilen Beziehung oder ihr Beginn? Was, wenn sich das die Braut im Moment der Unterzeichnung des Ehevertrages fragt und zögert? Genau das passiert in der neuen Produktion von Mozart-Da Pontes Così fan tutte und stürzt die Protagonisten des überkreuz ausgefochtenen Gefühlskampfes in so dramatische wie komische Turbulenzen. Die Zuschauer:innen der Premiere bejubelten sie aus gutem Grund. Denn sie durften ein herrliches Gesamtkunstwerk aus Musik, Sprache, Schauspiel, Bühnenbau- und Kostümkunst genießen, schreibt Andrea Richter.

Zum Tod von Joachim Durrang

Äquidistanz

Wes das Herz voll ist, der findet keine Ruhe, muss malen, zeichnen und schreiben, wie Joachim Durrang es tat. Und wer wie er sich in der Tradition Rimbauds und Baudelaires sieht und eine Flut von Metaphern, „die auf nichts bezogen sind, nichts abbilden“ (Reder), hervorbringt, will sich der Maßlosigkeit dreingeben. Bernhard Bauser erinnert an den Frankfurter Bild- und Wortkünstler Durrang.

„Antigone" von Sophokles in Frankfurt

Ein Triumph des ‚Theaters‘

„Das Gleiche lässt uns in Ruhe; aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht“, erklärte Goethe seinem Eckermann anlässlich der „Antigone“. Lässt sich der Widerspruch nicht auflösen, spricht man von einer Tragödie. Und mit der „Antigone“ hat Sophokles das Modell aller folgenden, wahren Tragödien verfasst. In Frankfurt hat man es gewagt, den „Klassiker“ wieder auf die Bühne zu bringen. Martin Lüdke ist davon angetan.

Politik und Religion (II)

Das Unverfügbare

Ökonomie ist die Wissenschaft, die wirtschaftliche Vorgänge zu erfassen versucht. Ökologie strebt das Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur zum Vorteil beider an. Beides leitet sich vom griechischen oikos her, dem Haus als Lebensgemeinschaft. Der folgenreichste Ökonom des 19. Jahrhunderts, Karl Marx, sah die Hauswirtschaft durch Ausbeutung ruiniert, durch den Kapitalismus der Zerstörung preisgegeben. Peter Kern zeichnet im zweiten Teil seines Traktats nach, wie sich der Philosoph Karl-Heinz Haag eine Ökologie der metaphysischen Wesensgleichheit denkt.

Götz Alys „Wie konnte das geschehen?“

Hitlers Deutsche

Das Vergessen, Nichtwissenwollen, Leugnen, Verschweigen, Vertuschen von Verbrechen verändert Menschen. Vor allem, wenn die Schuld so gewaltig ist, dass man nicht vor ihr bestehen kann, wird man von ihr beschädigt. Wie aber kann der Schadensfall ein ganzes Volk betreffen? Der Historiker Götz Aly hat sich der Aufklärung der NS-Verbrechen verschrieben. In seinem neuen Buch beschreibt und analysiert er die zwölfjährige Epoche „Hitlerdeutschlands“ und fragt: „Wie konnte das geschehen?“ Helmut Ortner hat es gelesen.

Zum 80. Geburtstag von Bernd Schwibs

Bernd Schwibs, der Freund und Übersetzer

Es soll Übersetzer geben, die Autoren erst das mitgeben, wofür sie bekannt sind. Das mag nicht überraschen, wenn es um die Übertragung von lyrischen Texten geht, die Mehrdeutigkeit und Hintersinnigkeit mit sich führen. Handelt es sich aber um Wissenschaftsprosa, dann ist eine solche Leistung umso staunenswerter. Wem in diesem Zusammenhang der Name Bernd Schwibs einfällt, der hat vermutlich dessen deutsche Versionen wichtiger Werke neuerer französischer Philosophie gelesen. Ulrich Breth gibt anlässlich Schwibs‘ 80. Geburtstag Auskunft über Werdegang und Arbeit des beeindruckenden Gedankenvermittlers.

Sissi Tax‘ „das abc der sissi tax. wörterbuch“

Menschenverstand lässt grüßen

Es soll auch gute Nachrichten geben. Am Sonntag, den 28. September 2025 wurde im Kino Traumstern in Lich der Licher Literaturpreis verliehen. Er ging diesmal an Sissi Tax für „das abc der sissi tax. wörterbuch“. Tax kommt aus der Steiermark, lebt aber seit über 40 Jahren in Berlin. Ihre Prosa fällt unter die Kategorie Experimentelle Literatur. Und damit entspricht sie den Vorgaben des Licher Literaturpreises, der von dem früheren Anabas-Verleger Günther Kämpf und Vilma Link-Kämpf gestiftet wurde. Bernd Leukert hat das Wörterbuch mit großem Vergnügen gelesen.

Friedman in der Oper II

Fremdsein

In der Oper Frankfurt versuchte Michel Friedman in seiner Gesprächsreihe diesmal mit seinem Gast, dem SPD-Veteranen Franz Müntefering, das virulente Thema „Fremdsein“ mit all seinen Implikationen für das Menschsein und die Demokratie zu beleuchten. Das ging ziemlich schief, denn Müntefering war weder bereit, wichtige Versäumnisse der Politik in der Vergangenheit zu erkennen noch irgendeine brauchbare Idee für die Zukunft beizusteuern. Das Bereicherndste des Abends waren Friedmans Fragen, meint Andrea Richter.

Eine Erinnerung an Robert Jay Lifton

Von der kartesianischen Krankheit

Robert Jay Lifton, der jetzt im Alter von 99 Jahren gestorben ist, wurde mit seinem Buch „The Nazi Doctors“ bekannt. Der Psychiater und Psychohistoriker ging darin dem Jekyll-Hyde-Problem nach: Wie lässt sich erklären, dass Personen als Folterer, Terroristen und Massenmörder tätig sein können, ohne ihre Existenz als fürsorgliche Familienväter davon berührt zu sehen? Dafür stützte er sich auf Aussagen der Täter, die er selbst befragt hatte. Marli Feldvoß sprach mit dem einflussreichen Autor.

Grusical „Das Sanatorium zur Gänsehaut“ von Ferdinand Schmalz

Na! Was ist denn das?

Nicht nur Dramatiker müssen sich heute fragen, ob das Schreckensszenario einer „schönen neuen Welt“ nicht längst ihren Schrecken verloren hat und wie man heute eine solche infernalische Gesellschaft thematisiert. Aber vor allem Theaterleute stehen vor der Aufgabe, dies mit den Mitteln der Kunst auch überzeugend realisieren zu müssen. – Das Schauspiel Frankfurt eröffnete die neue Saison mit einem „Grusical“ von Ferdinand Schmalz, und Martin Lüdke hat es gesehen.

Aus dem Notizbuch

Wassermelone essen

Können wir etwas wahrnehmen, ohne uns dabei etwas zu denken? Gibt es Text ohne Kontext und Subtext? Die Rückgewinnung des Alltags vor dem Hintergrund des Massakers oder das heitere Rondo bei der eigenen Beerdigung – Eldad Stobezkis Notizen sitzen in dialektischer Spannung und bringen, Älterwerden, Kulturspaltung und Rinderhack streifend, Grundsätzliches zum ethnischen Staat zur Sprache.

Kit Downes spielt auf dem Orgelwerk des Kölner Doms

Respekt vorm sakralen Raum

Die Orgel ist die Königin der Instrumente. Und sie ist eine üppige Königin, mit ihrer technischen Ausstattung eine Herausforderung für jeden klangforschenden, entdeckungsfreudigen Tastenspieler. Wenn ein versierter und renommierter Jazzmusiker wie Kit Downes die Gelegenheit bekommt, auf der großen, mehrteiligen Orgel des Kölner Doms zu konzertieren, muss er nicht nur der enormen Räumlichkeit, also deren nachhalligen und tückischen Akustik, sondern auch der Bedeutung des Gebäudes Rechnung tragen. Hans-Jürgen Linke hat gehört, wie Downes die Aufgabe bewältigt.

Kommentar zum soldatischen Eid

Treuer Husar

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Henning Otte, und der Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam, Sönke Neitzel, beginnen ihren Beitrag für die FAZ mit der Behauptung: „Soldaten schwören, das Recht und die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland tapfer zu verteidigen.“ Im § 9 des Soldatengesetzes lautet das Gelöbnis (bei Berufssoldaten: der Eid) dagegen: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Matthias Buth kommentiert.

Sonderausstellung „Gerald Domenig – DOM“.

Das Festhalten des Augenblicks

Fotografen erschaffen das, was sie sehen, indem sie es verwandeln. Vom Lichteinfall über den Rahmen, die Positionierung der Personen oder Gegenstände darin bis zur Intention der Bewegungen – das alles hat der künstlerische Fotograf zu wählen, so wie ein Maler die Farbe, die Anlage und den Bildausschnitt wählt. Die Fotografien spiegeln deshalb die Persönlichkeit des Fotografen oder der Fotografin. Noch bis zum 26. Oktober 2025 zeigt das Frankfurter Dommuseum die Sonderausstellung „Gerald Domenig – DOM“. Zur Ausstellung gibt es ein Katalogbuch. Wolfgang Rüger hat sich beide angeschaut.


Gilles Deleuzes Vorlesungen über Malerei von 1981

Gut, versuchen wir’s

Anlässlich des einhundertsten Geburtstags von Gilles Deleuze hat der Suhrkamp Verlag unter dem Titel „Über die Malerei“ einen Band mit Vorlesungen herausgebracht, die der französische Philosoph zwischen März und Juni 1981 gehalten hat. Ein Gemälde glückt dann, so Deleuze, wenn es eine eigene Realität jenseits narrativer und illustrativer Rahmungen, wie sie die Gesellschaft an es heranträgt, hervorbringt. Diese Perspektive ermöglicht es, das Potenzial von Kunst jenseits gegenwärtiger kulturpolitischer Debatten neu zu bestimmen, schlägt Ursula Grünenwald vor. Deleuzes unkonventioneller und inklusiver Vortragsstil macht die Lektüre zu einem Vergnügen.

Eröffnungsrede in der Frankfurter Ausstellungshalle 1A

Wege von Farbe

Es geht nicht um abstrakte Malerei, weil sie von keiner figürlichen abstrahiert, sondern um die Emanzipation der Farbe. Qualität und Intensität der Farbe treten in den Vordergrund, die Beziehung von Farben untereinander, aber auch im Verhältnis zum Individuum und zur Gesellschaft ermöglichen künstlerische Aussagen. Eine Ausstellung mit Werken von Raimer Jochims, der am 22. September 90 Jahre alt wird, Michael Kolod und Sabine Funke zeigt, dass es dabei nicht bleibt. Susannah Cremer-Bermbach eröffnete mit dieser Rede die Präsentation in der AusstellungsHalle 1A in Frankfurt.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Elisaveta Bagrjana, Weisheit

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hiermit endet diese Reihe: „Weisheit“ von Elisaveta Bagrjana.

Aliette de Laleus „Komponistinnen. Frauen, Töne & Meisterwerke“

Mozart war eine Frau

Es überrascht nicht zu lesen, dass Frauen in der Menschheitsgeschichte im Vergleich zu Männern stets benachteiligt waren. Evident ist auch, dass die Ungleichheit nicht naturgegeben ist. Es fehlt nicht an Nachweisen, dass das, was Männer können, Frauen ebenso zu tun in der Lage sind. Kerstin Lücker hat sich nun mit einem Buch beschäftigt, das sich den Komponistinnen in Geschichte und Gegenwart widmet.

Julia Mantels „Autobiographie einer Bisswunde“

Gedichte wie Geschichten

„Autobiographie einer Bisswunde“ der Lyrikerin Julia Mantel ist soeben innerhalb eines Jahres in der zweiten Auflage erschienen. Beim Nischengenre Lyrik keine Selbstverständlichkeit. Riccarda Gleichauf reflektiert darüber, warum Julia Mantels Gedichte beim Publikum so gut ankommen und plädiert dafür, sie in den Kanon der Schullektüre aufzunehmen.

Der Komponist, Multiinstrumentalist und Autor Elliott Sharp

Die tiefsten Schichten unserer Existenz

Nach den üblichen Vorstellungen vom Erfolg durch Fleiß wäre er längst ein Superstar. Doch weil er das Showbusiness stets gemieden hat, ist der Musikerkomponist Elliott Sharp eher eine Lichtgestalt künstlerischer Autonomie und kreativer Kooperation. Er improvisiert nach strengen Regeln, hat mehrere Bands gegründet, arbeitet mit Rockmusikern, Ensembles für Neue Musik, Wüstenbewohnern, Jazzern und komponiert mit Hilfe von Algorithmen. Und mit seinen Opern überschreitet er Grenzen. Bernd Leukert gibt Einblick in das Leben und Werk eines arbeitswütigen Künstlers und Autors.

Rede zum Bergener Stadtschreiberfest 2025

Zur Verteidigung der Feigheit

Beim Bergener Stadtschreiber:innenfest wird jedes Jahr der Schlüssel des Stadtschreiberhauses feierlich an die nachfolgende Person weitergereicht. Am 29. August 2025 drückte ihn Dinçer Güçyeter im Festzelt auf dem Berger Markt seinem Schreibkollegen José F. A. Oliver in die Hand. Die stets das Ritual begleitende Festrede hielt die Berliner Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo, der wir für ihre hintergründige Ode an die Feigheit danken.

 

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Hanna Kowalewska

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „Der erste und zweite Traum“ von Hanna Kowalewska.

Die Sürrealistische Revolution

Die Kräfte des Rausches

Selbst Angriffe auf Schauspieler Tristan Tzaras auf der Bühne gehörten dazu: Als permanente Revolution hat sich der Schriftsteller André Breton den Surrealismus gedacht. Schließlich hatten er und seine Mitstreiter sich von der Kodifizierung des Denkens, Schreibens, Darstellens und Handelns befreit und wollten sich nicht mit einer methodischen Festlegung erneut fesseln. Die literarischen Texte und Manifeste der „Sürrealistischen Revolution“, die zum ersten Mal vollständig in deutscher Übersetzung erschienen sind, weisen deshalb modifizierend in alle möglichen Richtungen. Ulrich Breth zeigt, dass diese künstlerische Lebensauffassung auch heute noch nicht abgetan ist.

Philippe Collins Roman „Der Barmann des Ritz“

Mörderische Besucher

Ein guter Barmann muss nicht nur Getränke so mixen können, dass die Gäste wieder kommen, er muss auch ein Künstler im Umgang mit anderen Menschen sein. Wenn ein jüdischer Bartender im Pariser Hotel Ritz während der deutschen Besatzung zum Vertrauten aller wird, kommt höchste Überlebenskunst noch hinzu. Der französische Journalist und Schriftsteller Philippe Collin hat einen Roman aus Fakten und Fiktion über die historische Figur Frank Meier geschrieben. Und Rainer Erd hat ihn gelesen.

Erzählung von Dacia Maraini

Maria Callas’ Grab auf Père Lachaise

Die Bezeichnung „Diva“ für großartige Opernsängerinnen weist auf einen göttlichen Anwesenheitsanspruch: Es gehört nicht viel dazu vorauszusagen, dass dem Namen Maria Callas im kulturellen Gedächtnis eine ähnliche Bedeutung erhalten bleiben wird wie dem der frühverstorbenen Maria Malibran zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Aber während die Malibran in ihrem Brüsseler Mausoleum ruht, ward die Callas im Ionischen Meer versenkt. Doch ist ihr in Paris ein symbolisches Grab zuteil geworden, das zu finden sich die italienische Poetin Dacia Maraini auf die Suche begab.

Schreibheft Nummer 105

Drei Multitalente

Es gibt gute Gründe, sich mit der Literatur von Eric de Kuyper, Gregor von Rezzori und James Agee zu beschäftigen. Alle drei verbindet, dass sie als Tausendsassas auf irgendeine Weise auch im Filmgeschäft tätig waren und nun in einer Publikation bedacht sind. Gerade ist Heft 105 von „Schreibheft. Zeitschrift für Literatur“ erschienen, in dem auch darüberhinaus einiges Lesenswertes zu finden ist. Wolfgang Rüger ist begeistert.

Zur Evolution der poetischen Techniken

Poesie als Muskelspiel

Dass Gustave Flaubert seine Romane brüllend vorgelesen hat, wie die Brüder Goncourt verraten, oder der zeitgenössische Lyriker Jan Röhnert den Rhythmus seiner Gedichte beim Gehen findet, wie er selbst verrät, sollte uns, die wir, gewöhnlich stumm über die Schrift gebeugt, Verse in unserem Inneren aufführen, zu denken geben. Wie das Singen und Tanzen hat auch das Dichten etwa eine gestische, anstrengende, agogisch-dynamische, kurz: körperliche Komponente. Felix Philipp Ingold erinnert an den Erforscher der organismischen Poetik, André Spire.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Daniela Hivešová

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „(Ich hab mich lange vorbereitet)“ von Daniela Hivešová.

Aus dem Notizbuch

Unterwegs

Wer reif für die Insel ist, will abgeschieden sein vom Alltag, vom Dienst. Das mittelhochdeutsche urloubede, aus dem unser Urlaub kommt, bedeutete die Erlaubnis zu gehen, die Verabschiedung. Das klingt endgültig und wird gegenwärtig mit der Verabschiedung ins Rentnerdasein auch so gesehen, spätestens dann, wenn Menschen anfangen, die toten Bekannten zu zählen. Aber Eldad Stobezki auf der Insel Baltrum hat auch Sinn für Weihnachtsmärchen, Fliegen, Schildkröten und Getreide.

Der gottlose Staat

Verfassung first!

Der Staat ist ein Gebilde, das so organisiert sein will, dass niemand zu Schaden kommt. Eine repräsentative Demokratie, wie die unsere, muss Gleichheit der Chancen anstreben. Das liegt in der Verantwortung seiner Volksvertreter und Repräsentanten. Wir leben in keinem Gottes-Staat, sondern in einem Verfassungs-Staat. Es herrscht Glaubensfreiheit. Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige müssen miteinander auskommen. Der Staat selbst aber muss gottlos sein. Es gilt, schreibt Helmut Ortner, die Grundsätze des säkularen Staates zu verteidigen.

Politik und Religion (I)

Bedrängte Natur, beschränkte Religionskritik

Der mittelalterliche Theologe und Philosoph Jean Roscelin bestand auf dem kategorialen Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Konkreten, zwischen dem Unwirklichen und dem Wirklichen, zwischen Physik und Metaphysik. Das widersprach kirchlichen Dogmen und ist, wie wir heute wissen, Ausgangspunkt des säkulären Staates. Auch im 21. Jahrhundert ist der Universalienstreit noch nicht beendet. Peter Kern sieht in seinem mehrteiligen Traktat Rationalität und Metaphysik untrennbar vereint. Hier ist der erste Teil.

Der Philosoph und Poet Fuad Rifka

Fuad Rifka dichtete das Morgenland

Offensichtlich haben unterschiedliche Kulturen auch unterschiedliche Auffassung davon, was und wie wichtig Poesie ist. Jede Übersetzung ist Interpretation. Das sei ein Problem, das nicht lösbar ist, sagte der syrisch-libanesische Philosoph, Lyriker und Übersetzer Fuad Rifka: „Jeder Übersetzer muss ein Dichter sein. Denken und Dichten bauen die Brücken.“ Fuad, der zu den Erneuerern der arabischen Lyrik gehörte, verstarb am 14. Mai 2011 mit 80 Jahren. Matthias Buth stellt den Dichter mit seinen Versen vor.

Porträt der Künstlerin Inge Hergenhahn-Dinand

Gesetz der Fläche

Lange wurden Künstlerinnen von der Kunstgeschichte weitgehend ignoriert, seltener ausgestellt und seltener besprochen. Frauen aus dem Schülerkreis Max Beckmanns hatten im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen deshalb mit erheblichen Widerständen zu kämpfen. Marion Victor porträtiert die Malerin Inge Hergenhahn-Dinand, eine Künstlerin, die sich aus der oft epigonenhaften Schülerschaft Beckmanns heraushob.

Der Garten Junot und die rebellischen Bewohner von Montmartre

Der goldene Klingelknopf

Gewachsene Gemeinschaften funktionieren oft nach anderen Regeln, als der Gestaltungswille von Stadtplanern vorsieht. Selbst oder gerade fortschrittliche Kommunalverwaltungen zwingen zuweilen Bürger zu ihrem Glück, das sie bereits selbst errungen haben. Es geht um die Kraft, die stets das Gute will, und stets das Böse, nämlich die Zerstörung, schafft. Rainer Erd war auf dem Pariser Montmartre, wo in der Avenue Junot Menschen sich zum Boule-Spiel Pétanque trafen …

Gespräch mit dem Philosophen Robert Spaemann

Nur aristokratische Seelen

Begegnungen über die Jahrhunderte mögen sich entspannt gestalten, zu ihren zeitgenössischen Kollegen aber haben Philosophen oft ein heikles Verhältnis. Da stellt sich schnell das Bedürfnis der Abgrenzung, also die Behauptung der eigenen Position ein. Als 2015 Alexandru Bulucz den Philosophen Robert Spaemann, der dann im Dezember 2018 mit 91 Jahren starb, nach seinem Selbstverständnis fragte, trat diese akademische Konkurrenzsituation zutage, aber auch Einsichten, die jetzt, nach zehn Jahren, neues Gewicht gewinnen.

Kommentar

Ich weiß, was Hunger ist

Jemanden hungern zu lassen, ist der Versuch, ihm das Leben zu nehmen. Der Name dafür ist Holodomor, im Russischen: Golodomor. Die Geschichte hat Millionen Opfer dieser Art der Menschenvernichtung verzeichnet – durch bewusstes Unterbinden der Nahrungsmittelversorgung. Ein Kommentar der italienischen Schriftstellerin Dacia Maraini macht deutlich, worum es geht.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Amanda Aizpuriete

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „(Das Land der nicht ausgetrunkenen Becher)“ von Amanda Aizpuriete.

Chantal Akerman im Gespräch mit Marli Feldvoß

Männer sind weitgehend am Ende

Mut und unabhängiges Denken sind die Voraussetzungen dafür, etablierte Regeln des Films zu ignorieren, der eigenen Intuition zu vertrauen, der Eigentendenz des Bildes, dem Gestaltungswillen und der Szene zu folgen. Das Resultat ist die Neuerfindung der Formen und damit der Filmästhetik: Am 5. Oktober vor zehn Jahren schied Chantal Akerman aus dem Leben. Was mit ihr verloren gegangen ist, ist nachzulesen in einem Interview, das Marli Feldvoß mit der belgischen Filmregisseurin führte.

Eine Analyse des Nürnberger Prozesses

Verschämter oder missionarischer Völkermord?

Am 20. November vor 80 Jahren begannen die Nürnberger Prozesse vor einem US-amerikanischen Militärtribunal. Auf Grundlage des Viermächte-Abkommens der Alliierten wurden Repräsentanten des NS-Staates als Hauptkriegsverbrecher angeklagt. Der Philosoph Martin Löw-Beer hat den ersten der insgesamt 13 Nürnberger Prozesse analysiert und führt dessen völkerrechtliche Dimension, die Moralauffassung der Angeklagten, den Unterschied zwischen Mord und Völkermord und die rechtliche Ungültigkeit der Diskriminierung und Vernichtung im Nationalsozialismus vor Augen.

Cornelia Wilß im Gespräch mit dem Künstler Alfred Ullrich

Rußflocken, die um die Erde schweben

Der vielseitige Künstler Alfred Ullrich lebt in Dachau. In seiner Druckgrafik spiegelt sich in abstrakter Darstellung das bis heute gebrochene Verhältnis der deutschen Mehrheitsgesellschaft zur Minderheit der Sinti und Roma. Ein zentrales Thema in seinem Schaffen ist die Familiengeschichte: Die meisten seiner Angehörigen wurden während des Nationalsozialismus in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Cornelia Wilß traf den Künstler mehrfach, zuletzt in Berlin im Mai 2025 anlässlich eines Künstlergesprächs mit dem Galeristen Moritz Pankok.

Wim Wenders‘ „Palermo Shooting“

Leben und Tod

Ein richtiger Künstler wächst an seinen Werken. Dabei geht es um grenzenloses Wachstum. Der Fotograf und Filmkünstler Wim Wenders, der am 14. August 80 Jahre alt wurde, ist gern seiner Faszination von starken Persönlichkeiten nachgegangen. Das macht seine Kunst so vielfältig und attraktiv. Im Jahr 2008 kam ein Wenders-Film in die Kinos, der in alte Fußstapfen trat und einen Fotografen, gespielt von einem Rockmusiker, auf eine Reise durch das alte Europa schickte. Marli Feldvoß ist ihm dahin gefolgt.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Andriana Škunca

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „Unser Haus ist umgekippt “ von Andriana Škunca.

Feridun Zaimoglus Roman „Sohn ohne Vater“

Wo er ist, ist die Kultur

Der Eindruck von Feridun Zaimoglu als einem Schriftsteller, wie er im Buche steht, entsteht zunächst angesichts seiner Produktivität. In seinem 25. Buch reflektiert er, als der Vater gestorben ist, das Vater-Sohn-Verhältnis, das ihn, den Sohn, geprägt hat mit all den Konflikten, die Teil der elterlichen Zuwendung sind. In der Spiegelung familialer Strukturen in den verschiedenen Kulturen zeigt sich der Schriftsteller, wie er im Buche stehen sollte. Ewart Reder hat den Roman gelesen.

Totalität in der Literatur

Zufall oder Organisation

Wer davon ausgeht, dass die Welt in ihrer Totalität ein sinnvolles Ganzes ist, ist ein gläubiger Mensch. Wer, wie Michel Butor, in ihr nur einen zufälligen Haufen Material sieht, fügt sich dennoch dieses Material, um sich zurechtzufinden, zu Sinneinheiten zusammen, lebt also mit Zufall und Notwendigkeit. Thomas Rothschild skizziert, wie sich dieser Befund auf die Künste auswirkt und wie Texte auf ganzheitliche Erwartungen reagieren.

Das Doppelspiel des Kurt Gerstein

Widerstand zwischen den Fronten

Er wollte in die „Feueröfen des Bösen“ schauen und dem nationalsozialistischen Räderwerk in die Speichen greifen. Dafür schlüpfte Kurt Gerstein in die SS-Uniform. Wie Rolf Hochhuth in seinem Drama „Der Stellvertreter“ formuliert, hat er mit den Mördern gepokert“ und blieb bis zum Ende des Terrorregimes unentdeckt. Sein Tod ist bis heute ungeklärt, und er selbst weitgehend vergessen. Doris Stickler erinnert an Kurt Gerstein, der vor 120 Jahren geboren wurde und vor 80 Jahren gestorben ist.

Rita Schäfer im Interview mit der Autorin Stella Gaitano

Von Khartum nach Kamen

Stella Gaitano hat Deportation schon als Kind erlebt. Heute zählt die sudanesische Autorin zu den wichtigsten Stimmen ihres Landes, die mit ihren Texten zu einem wachsenden Bewusstsein für Unrecht, Diskriminierung und die weltweite Geltung der Menschenrechte beitragen möchte. Im Sudan herrscht ein Krieg, der mit den Waffen fremder Mächte geführt wird und nach einer kurzen Phase der Hoffnung auf Frieden erneut eskaliert ist. Er zerstört die Lebensgrundlagen zahlloser Bürger:innen und hat dazu beigetragen, dass Stella Gaitano seit 2022 in der nordrhein-westfälischen Stadt Kamen im Exil lebt. Rita Schäfer sprach mit der Autorin im Rahmen eines Austauschs über Frauen- und Menschenrechte.

Zu Retrospektiven mit Bas Jan Ader, Paula Rego und Judy Chicago

Am Werk entlangstreifen

Das Zurückblicken hat in der Welt der bildenden Kunst ein festes Format: das der Retrospektive. Gleichzeitig ist es für Ausstellungen mit retrospektiv biografischem Fokus umso wichtiger, sich beweglich zu halten und kuratorisch nicht einfach bloß dem Lebenslauf zu folgen. Anhand dreier aktueller Retrospektiven in deutschen Ausstellungshäusern – Bas Jan Ader im Hamburg, Paula Rego in Essen, Judy Chicago in Recklinghausen – geht Ellen Wagner den dramaturgischen Herausforderungen und Fallstricken nach, die sich beim „Blick zurück nach vorn“ durch ein künstlerisches Werk hindurch ergeben.

Die Wurzeln des Nahostkonflikts

„Brutale Nachbarn“

Seit der Gründung Israels hat es tätige Versuche gegeben, eine friedliche Koexistenz zwischen Juden und Arabern herzustellen. Genauso lange haben beide Seiten versucht, dies zu verhindern. Solange das Prinzip der Unversöhnlichkeit herrscht, gibt es keine Lösung für das hundertjährige Problem. Aufgrund zweier Bücher kann Jutta Roitsch diesen Kampf der „brutalen Nachbarn“ besser verstehen und deren Lektüre nur empfehlen.  

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Lenka Chytilová

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „Manchmal schreibt mir das Weibchen des Kuckucks“ von Lenka Chytilová.

Wim Wenders im Gespräch mit Marli Feldvoß zu seinem Pina-Film

Jetzt hab‘ ich eine Idee

Wenn der Funke vom Künstler zum Publikum überspringt, wenn Kunst nicht mehr gemacht wird, sondern geschieht, findet sich hintergründig oft ein enges Verhältnis von Training, Technik und Intuition. Die Rede ist von Pina Bausch, die gerade 85 Jahre alt geworden wäre, und Wim Wenders, der in Kürze 80 Jahre alt wird. Als Wim Wenders nach langer Vorbereitung seinen Film über die Arbeit von Pina Bausch herausbrachte, hat Marli Feldvoß mit ihm gesprochen.

Die Tänzerin und Choreografin Petra Lehr

Der Schwung der Synapsen

Die freie Tanzszene ist mit Widrigkeiten gepflastertes Metier. Was es heißt, sich dort als Tänzerin und Choreografin zu behaupten, führt Petra Lehr in ihrer jüngsten Produktion „remembering for tomorrow“ vor Augen. In der Solo-Performance blickt sie nicht nur auf jahrelange Erfahrungen zurück. Die Gründerin des co.lab.tanztheaters will mit dem Stück auch Frauen bestärken, eigene Ideen und Wünsche umzusetzen, wie sie Doris Stickler erzählte.

P H Gruners „Autos sind tödlich“

Der Teufel steckt im Auspuff

Das spöttische Vergnügen an Binsenweisheiten, wie sie in den verbreiteten Warnhinweisen oder Triggerwarnungen nach amerikanischem Vorbild hervortreten, ist kaum zu vermeiden. Wie naiv kann man noch sein? Rauchen ist tödlich. Überrascht uns das? P H Gruner hat mit seinen satirischen Variationen die Methode zu ihrer wahren Bestimmung geführt, und Roland Held ist den Ausführungen Gruners gewissenhaft gefolgt, eingedenk der Warnung: Leben ist lebensgefährlich.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Lina Kostenko

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „(Den Zensor sucht am besten in euch selbst)“ von Lina Kostenko.

Wie Helen Mirren DIE QUEEN zur Filmheldin macht

Ein Herz und eine Krone

Schon ihre Familiengeschichte wäre Stoff für einen Film. Helen Mirren stammt in direkter Linie vom russischen Feldmarschall Graf Michail Kamenski ab, ihr aristokratischer Großvater floh vor der russischen Revolution nach England, wo ihr Vater dann sein Geld als Taxifahrer, Musiker und Fahrlehrer verdiente. Sie selbst wurde die große Schauspielerin die sie von Kind an sein wollte und verkörperte genial die Königinnen Elisabeth I. und II.. Marli Feldvoß hat die vor kurzem 80 Jahre alt gewordene Helen Mirren in Stephen Frears‘ Film THE QUEEN gesehen.

Über Spiel und Schönheit

Tennis ist mehr

„Stets habe ich daran glauben wollen, dass Kraft und Schönheit auf ein und derselben Linie liegen“, bemerkte Oscar Wilde. Dass sich das im Sport manifestiert, besonders wenn die Konzentration aufs Spiel die Aufmerksamkeit des Menschen für seine eigene Performance löscht und er sich selbst vergisst, weil er unbeirrt sein Ziel verfolgt, haben schon antike Autoren beschrieben. Der Tennisspieler Matthias Buth hat den Faden wieder aufgenommen.

Die Gedichte von Gisela Wölbert

Einstweilen

Während des Corona-Lockdowns verfasste die Lyrikerin Gisela Wölbert den Gedichtband und das gleichnamige Langgedicht „Einstweilen“. Mit dem heute kaum mehr benutzten Wort verweist sie auf den völligen Stillstand jener Zeit in der sich ihr die Natur als Refugium offenbarte. Die melancholischen Betrachtungen der Dichterin haben Riccarda Gleichauf umso mehr berührt, als das Lesen Hoffnungsschimmer in einer Welt im Katastrophenzustand bescheren.

50 Jahre: Rockband KARAT

Verschlüsselt gesungen

Sie gehören zu den populär gewordenen Popgruppen der DDR, die nach dem Fall der Mauer auch im Westen ihr gemeinschaftsbildendes Potential zur Geltung bringen konnten. KARAT, das sind die Guten, im Osten einst gegängelt, im Westen der launischen Konjunktur unterworfen. Ihre Texte sind einfach und verständlich, die Botschaft trifft auf fruchtbaren Boden: die Rettung und Bewahrung unseres Planeten, das Berührende der menschlichen Existenz. Auch musikalisch hat die Gruppe, die nun ihr 50-jähriges Jubiläum feiert, stets an das mitsingende Auditorium gedacht. Walter H. Krämer erzählt von KARAT.

Aus dem Notizbuch

Zwischen Himmel und Erde

Die Arbeitswucht einer Kugelkopfmaschine konnte Hausmauern erzittern lassen. Ihre durchschlagende Prägung erzeugte mehr Kopien auf einmal, als vorher denkbar. Undenkbar noch ohne Kohlepapier. Eldad Stobezki holt sich den Kugelkopf aus dem Traum in die Notizen und mehr. Zwischen „Stirb und Werde“ denkt er an Rittergezücht, volle Züge, vibrierende Weibchen, die siebte Sprache, eine traumhafte Lyrik-App, an Trauergroteske und Völkermord.

Vor 60 Jahren endete der Frankfurter Auschwitzprozess

Man hört fast die Tränen

Der erste Auschwitzprozess in Frankfurt, der am 20. August 1965 endete, zog 16 Zuchthausstrafen nach sich. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die verurteilten Täter, die Organisatoren und Betreiber des Holocaust. Die überlebenden Opfer, die gegen ihre Peiniger aussagten, blieben im Halbschatten. Um sie mit der emotionalen Belastung nicht allein zu lassen, wurden Personen ausgesucht, die sich während des Prozesses um sie kümmerten. Nach einer Veranstaltung des Fritz Bauer-Fördervereins im historischen Saal des Haus Gallus sprach Jutta Roitsch mit dem ehemaligen Zeugenbetreuer Peter Kalb und dem Stadthistoriker Dieter Wesp.

Selbstzeugnis des großen Theatermanns Peymann

In die Kartoffel geschnitten

Gälte es, einen Theaterdirektor zu erfinden, so ähnelte er sicher Claus Peymann, der nun, 88-jährig, gestorben ist: ein Bühnentier mit Leib und Seele, unerschrocken, provozierend und phantasievoll. Das künstlerische Engagement schloss für Peymann das politische mit ein. Seine Selbstauskünfte, die uns dankenswerterweise der Alexander Verlag als Auszug aus dem Buch „Mord und Totschlag“ überlassen hat, beziehen sich auf Peymanns Arbeit am Frankfurter TAT in den Jahren 1965-1969.

Rede der Bürgermeisterin – CSD-Empfang Frankfurt 2025

Gelebte Demokratie

Die ersten drei Artikel der Grundrechte unseres Grundgesetzes werden immer wieder aufgerufen, obwohl sie doch für uns selbstverständlich sein sollten: Wir sind sehr ungleich, deshalb hat der Grundsatz der Gleichheit vor Recht und Gesetz zu gelten. Der Christopher Street Day mit seinen bunten Demonstrationen erinnert daran, dass der Respekt vor dem Anderssein nicht gegeben, sondern einzufordern ist. Wir danken Frankfurts Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg für ihre Rede zu Beginn des CSD 2025.

Sebastian Kleins „Toxisch reich“

Demokratie-Zersetzung im Steuerparadies



Sebastian Klein ist ein Verräter seiner Klasse, um es mit einer veralteten Vokabel auszudrücken. Als einstiger Superreicher schreibt er ein Buch über Superreiche und legt darin den Kapitalvermehrungs- und Steuervermeidungsmechanismus offen, der die Verarmung der Nichtreichen und politische Verwerfungen zur Folge hat. Ob dieses Gebaren legal ist, hängt offenbar vom Kalkül der politischen Entscheider ab. P H Gruner schätzt das Buch und kritisiert es.

Die Fotografin Inge Werth

Dokumentieren ohne Vorurteile

Mit sublimem Blick hielt Inge Werth nicht nur hierzulande gesellschaftliche Umbrüche und wegweisende Proteste mit der Kamera fest. Sie bereiste unzählige Länder, um visuelle Eindrücke von Schieflagen und Widerständen zu vermitteln. Ihre authentischen Arbeiten machten sie zu einer gefragten Chronistin, die die Fotografie-Geschichte mitgeschrieben hat. In einem Gespräch mit Doris Stickler blickt sie auf ihr bewegtes Leben zurück.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Ana Blandiana

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „Ruß“ von Ana Blandiana.

 

Friedrich Schillers „Die Räuber“ in Bad Hersfeld

Eine Kanonenkugel

Friedrich Schiller hat mit den „Räubern“ ein starkes Stück geliefert. Die Revolte gegen alles, was ihm das Leben bitter machte, hat den jugendlichen Autor in einen dramatischen Furor getrieben, der bis heute weiterwirkt. Anlässlich einer Neuinszenierung des Dramas in Bad Hersfeld hat Walter H. Krämer den historischen Hintergrund der „Räuber“ skizziert und anhand der Aufführungsgeschichte sowohl ihre Wandelbarkeit als auch ihre Robustheit beschrieben, die in der Version Gil Mehmerts mit den Songs der TOTEN HOSEN in die Gegenwart reichen.

R.W. Fassbinders Lale Andersen und Daniel Kehlmanns G.W. Pabst

Zwei Aushängeschilder der Nazis

Wenn man sieht, wie honorige Personen den Mächtigen ohne Not zu Willen sind, stellt sich die Frage, wie hättest du, in Not, gehandelt? Tatsächlich lässt sich diese Frage nur moralisch, nicht aber ethisch beantworten. Die Entscheidung ist nur in der konkreten persönlichen Situation zu fällen. In einem Film und einem Buch geraten von den Nationalsozialisten begünstigte Prominente in diese Situation. Rolf Schönlau beschreibt das Problem.

Christopher Street Day Frankfurt am Main

Queerfeindlichkeit begegnen

Mit der Bemerkung „Der Bundestag ist kein Zirkuszelt“ sprach sich Bundeskanzler Merz kürzlich gegen das Hissen der Regenbogenflagge aus. Die breite Kritik an seiner Äußerung ist mehr als berechtigt. Queere Menschen werden immer häufiger angefeindet. „Um die errungenen Freiheiten zu verteidigen, müssen wir ihren Feinden Grenzen setzen“, stellten zwei Veteranen der Bewegung im Gespräch mit Doris Stickler klar. 

Prolog: Ein skandalöses Vorwort

Frantz Fanon – Philosoph der Barrikaden

Frantz Fanon wurde am 20. Juli vor 100 Jahren in der französischen Kolonie Martinique geboren. Und es heißt, er sei an dem Tag gestorben, an dem das Buch veröffentlicht wurde, das bis heute mit seinem Namen verbunden ist: Die Verdammten dieser Erde. Ein neues Buch über den Psychiater, Politiker, Schriftsteller und Theoretiker der Entkolonialisierung von Philipp Dorestal führt in dessen Werk ein und verteidigt Fanon gegen seine Interpreten. Wir danken dem Verlag, das Vorwort veröffentlichen zu dürfen.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Daiva Čepauskaitė

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „Wie geht es dir?“ von Daiva Čepauskaitė.

Vor 100 Jahren: Hitlers „Mein Kampf“

Ein deutscher Bestseller

Am 18. Juli 1925 erschien die Erstauflage von Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“. Darin sind die verbrecherischen Absichten bereits aufgezeichnet, die in der Folge umgesetzt wurden. Wurden sein radikaler Antisemitismus und seine Eroberungspläne nicht ernst genommen? Unterschätzen wir heute auf die gleiche Weise, was an rechtsradikalen Hetzschriften und Parolen verbreitet wird? Aus gutem Grund wurde nach dem Krieg der Nachdruck verboten. Heute liegen eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe vom Institut für Zeitgeschichte sowie eine Online-Fassung vor. Helmut Ortner erinnert an die Veröffentlichung der Nazi-Bibel.

Auszug aus Felix Philipp Ingolds Roman „Alias“

Das wahre Leben

Der Wolgadeutsche Kirill Beregow alias Carl Berger „hat schon die Erfahrung gemacht, dass auch das Unmögliche nichts anderes als eine Form des Möglichen ist, und die Verwirklichung dieser Möglichkeitsform – das Leben.“ So hat Felix Philipp Ingold den realen Beregow ins literarische Leben gebracht und dessen Biografie aufgrund von Fundstücken gestaltet. In unserem Ausschnitt zeigt er ihn als Oberst der 3. Ukrainischen Front mit seinen Infanterieverbänden bei der Eroberung Wiens.

Das Haus der Buchstaben schwindet

Was bleibt

Wer nennt die Namen, die bei ihm zusammenkamen – bei S. U., Eigner eines Verlages, dem George Steiner eine eigene Kultur zumaß, und Bewohner eines wundersamen Hauses in der Frankfurter Klettenbergstraße 35. Menschen, die schrieben, dort wie bei Hofe eingeladen waren und es geadelt verließen mit ihren eigenen Initialen. Nun ist es entseelt und verkauft. Die Dichter sind stiften gegangen. E. D. erinnert an das Haus S.V.

Die Illustratorin und Autorin Erna Pinner

Ich reise durch die Welt

„Heinrich Simon hat mir erzählt, Sie seien schön, Künstlerin und Jüdin, – wann kann ich Sie treffen?", heißt es in Kasimir Edschmids erstem Brief an Erna Pinner. Was folgt, sind zwanzig Jahre gemeinsamer Reisen durch die halbe Welt nach Afrika, Südamerika, Italien, die Erna Pinner mit ihrer Kamera und in Zeichnungen festhält. 1935 flieht Erna Pinner vor den Nationalsozialisten nach London und muss ganz neu anfangen. Barbara Weidle hat die Künstlerin und Weltreisende porträtiert.

Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa

Simona Popescu

Diese Poesie ist in mehrfacher Hinsicht erlesen. Denn sie wird durch die Stimme und Gestaltungskunst einer einzigartigen Rezitatorin versinnlicht und zugleich inhaltlich reflektiert. Birgitta Assheuer hat in ihrer Reihe „Handverlesen“ 25 Gedichte aus 16 Ländern ausgewählt und gelesen, Lyrik von Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Zugewandt und klug kommt uns ihre Dichtung entgegen, und wir müssen nur hören. Hier „Propeller“ von Simona Popescu.

Zum Tod Franz Hodjaks

Schreiben ist stummes Sprechen

Franz Hodjaks Gedichte und Aphorismen lesen sich wie die gemeißelten Inschriften in den Timpana griechischer Tempel. Verkürzt auf das Wesentlichste sind das aufs Leben bezogene und aus dem Leben gezogene Denkaufgaben, witzig präsentierter Realismus, reflektierend die Möglichkeiten des Tuns und Lassens und vor allem die der Sprache, Erkenntnisse aufscheinen zu lassen. Matthias Buth erinnert an Franz Hodjak, der 80-jährig gestorben ist, und an die kulturellen Beziehungen, die ihn mit anderen aus Rumänien geflüchteten Schriftstellern verbindet.

Aus dem Notizbuch

Chronik der laufenden Ereignisse

Ob Hunde oder Ereignisse laufen, man mit Morsecode, Bus oder Bahn in Verbindung kommt – es ist Bewegung in Eldad Stobezkis Notizen. Selbst von oben kommt es herab und ist rätselhaft bis heute. Wie man lesen kann, bedeutet „Manna“ im Hebräischen: „Was ist es?“ Wie auch immer, es steht geschrieben, dass sich Menschen davon ernährt haben, vielleicht auch Bachstelzen.

Don Giovanni in München

Testosterongesteuert und empathiefrei

Seit 150 Jahren gibt es nunmehr die Münchner Opernfestspiele. Im Mittelpunkt steht dieses Jahr Mozarts Don Giovanni in einer Neubetrachtung von Regisseur David Hermann. Das Ergebnis: eine auf den ersten Blick verwirrende und ungewohnt ironische Sicht auf das „Dramma giocoso“. Auf den zweiten Blick ein den Intentionen von Komponist Mozart und Librettist Da Ponte entsprechendes Bühnenspektakel, das die beabsichtigte Vielschichtigkeit von Lebens-Dramen, -Freuden, -Lügen und -Absurditäten spielerisch aufgreift. Andrea Richter hat gestaunt, gelacht, gelitten und die ungebremste Spiel- und Sangesfreude der Beteiligten genossen.

Die „Erfindung“ des Philologen in der Reformation und Nietzsches Humanismus der „klassischen Studien“

Philologie und Gegenphilologie (II)

Wofür Friedrich Nietzsche nicht alles verantwortlich gemacht wurde! Zum einen, weil seine Rollenprosa und seine Ironie nicht verstanden wurden, zum andern, weil einige seiner Aphorismen von den Nationalsozialisten ideologisch missbraucht wurden. Die Frage, ob er dem Missbrauch Vorschub geleistet hat, stellte sich nicht nur Thomas Mann. Der Philosoph Enno Rudolph geht diesem Vorwurf nach sowie dem Problem mit der Philologie und dem missverstandenen Platon. Wir bringen den großen Essay in zwei Teilen. Hier ist der zweite.

Eine Prachtstraße der Renaissance

Ein fiktiver Palazzo in der Via Giulia

Orte, im emphatischen Sinne, lassen uns mit ihrer Infrastruktur und den Merkmalen gesellschaftlicher Teilhabe und Kultur das Leben und die Lebendigkeit eine geglückte Form des Zusammenlebens ahnen. Oft auch tragen sie Spuren, manchmal auch nur den Nimbus geschichtlicher Ereignisse, gemahnen an Lebensabschnitte bekannt und berühmt gewordener Persönlichkeiten: präsente Historie. Ein solcher Ort ist für Rolf Schönlau die römische Via Giulia.

Kürzungen im Kulturbereich

Das schöne Leid

Der sogenannte Finanzierungsvorbehalt ist die Sollbruchstelle der Wahlversprechen. Und da offenbar mit dem Bruch und Kürzungen in der Kulturförderung wiederum Wahlen zu gewinnen sind, hören wir seit vielen Jahren den Refrain von den Sparzwängen, die denen, die da schreiben, übersetzen, publizieren, malen oder musizieren, an die Existenz gehen. Ortwin-Rainer Bonfert macht eine Rechnung auf.

Gedichte

Gedicht von Ralph Dutli

Stundenbuch

Gedicht von Johanna Hansen

das sind die tage

Gedicht von Eva Demski

NR. 6 OKTOBERJAHRMARKT

Gedicht von Ralf-Rainer Rygulla

Lebenslauf

Gedicht von Felix Philipp Ingold

AUSGESUNGEN (2)

Gedicht von Ria Endres

Biographie kurzangebunden

Gedicht von Boško Tomašević

MELANCHOLISCHE MOORLANDSCHAFT (1)

Gedicht von Silke Scheuermann

Plastikgedicht

Gedicht von Julia Grinberg

Im Zwischenzeilraum. Endlich Freitag

Gedicht von Steffen Kurz

die große flut

Gedicht von Shirin Kumm

Identitätssuche

Gedicht von Olaf Velte

Wildnis

Gedicht von Johanna Hansen

zeichnen am meer

Gedicht von Elisa Edler

Zwiesprache

Gedicht von Friederike Haerter

Von der Sehnsucht nach Sommer

Gedicht von Jane Wels

Schwankende Lupinen

Gedicht von Safiye Can

Nanatee

Gedicht von Jörg Schieke

Auf meinem Backenzahn,

Gedicht von Max Sessner

August

Gedicht von Stefan Heyer

gilles, der

Gedicht von Andreas Altmann

Über Tag über Nacht

Gedicht von Andreas Hutt

o. T.

Gedicht von Jan Röhnert

Sturmgewölkjuli

Gedicht von Betânia Ramos Schröder

XI

Gedicht von Julia Grinberg

von Ballerinas und Zinnsoldaten

Gedicht von Felix Philipp Ingold

Rate mal!

Gedicht von Julia Mantel

caring-career

Gedicht von Johanna Hansen

windau/ventspils

Gedichte von Jane Wels

3 Gedichte

Gedicht von Andrea Köllner

Tagtraumerwachen

Gedicht von Matthias Buth

Blondi

Gedicht von Lisa Goldschmidt

Abend & Morgen

Gedicht von Tom Schulz

Aschesegen

Gedicht von Dirk Hülstrunk

brücke

Gedicht von Stephan Turowski

Ein liebes Wort

Gedicht von Tamara Labas

im spiegel

Gedicht

Ausfahrt

Gedicht

Memento

Gedicht

Gleisberg

Gedicht

Paul

Gedicht

Traumata